Category Archives: Diskussion

Verweis auf Diskussionen oder Debatten im Netz

Rat für Informationsinfrastrukturen

Rat für Informationsinfrastrukturen (Nov. 2014)

Das sind sie also. Die, die über das Schicksal der Informations- und Wissensgesellschaft in Deutschland entscheiden werden. Der Rat für Informationsinfrastrukturen hatte diese Woche konstituierende Sitzung.

Vgl. dazu die Pressemitteilung des BMBF und der Uni Göttingen. Das neue Gremium ist mit vergleichsweise viel (oder eben viel zu wenig) Geld ausgestattet und soll in fünf Jahren Arbeit recht schwierige globale Probleme lösen. Ich frage mich, ob die Mitglieder des Rates dem Thema werden entsprechen können. Mir fehlt in der Zusammensetzung des Rates (wie ist sie nur zustande gekommen?) die informationswissenschaftliche Kompetenz. Aber das ist sicher Geschmacksache und eine Frage des Alters.

Innovators Club des DStGB

Der Deutsche Städte und Gemeindebund unterhält einer Art vernetzten Thinktank, den Innovators Club, der sich mit Fragen der Innovation in Städten auseinandersetzt. Seit unserer Konferenz „Stadt der Ströme“ habe ich die Ehre, ab und zu zum Thema „Bibliotheken als urbaner Entwicklungsmotor“ dort beizutragen. Gestern gab es eine illustre Runde, bei der zum ersten Mal auch eine Reihe weiterer Vertreter der Bibliothekswelt anwesend waren: das Rundgespräch: „Neue Bibliotheken braucht das Land“.

Mit einer interessanten Moderationsform „Magic Roundtable“ wurde vor allem darüber diskutiert, welche Rolle Bibliotheken in der neuen städtischen Gesellschaft haben werden: sind sie Interaktionstreiber, Teil der share economy, urban catalyst, Problemlöser für Kommunen, Koordinator für weiche Faktoren? So die Stichworte der Teilnehmer in der Diskussion.

Die (nicht sehr zahlreich anwesende) Politik machte vehement deutlich, dass „Setzungen von oben“ nicht funktionieren. Bibliotheken müssen selber ihr „verführendes Element“ demonstrieren und zum Frequenzbringer werden, ohne dass die Politik dies verordnet. Interessanterweise sagte das der Bürgermeister der Stadt Bensheim dessen Stadtbibliothek den Hessischen Bibliothekspreis gewann. Er hätte ja nichts verordnet…. – bei genauerem Nachfragen stellt man jedoch fest, dass in Bensheim mit einem managementorientierten Bürgermeister das 1×1 der Verwaltungsreform umgesetzt (verordnet) wurde: die Bibliothek wurde vor wenigen Jahren Eigenbetrieb (also eigenverantwortlich und unabhängiger) und die Stadt entwickelte ein übergreifendes Führungsmotto (eine mission) als „Vernetzte Stadt“. Klar, dass auf einem solchen Boden die Bibliothek sich entfalten kann. Ganz im Sinne von David Lankes vernetzte sie sich in der Tat und arbeitet erfolgreich für die Stadtcommunity als Ganzes. Eigenartigerweise wollten die anwesenden Politiker nicht verstehen (bzw. akzeptieren), dass dies genau ihr Part ist, um „neue Bibliotheken“ zu ermöglichen – statt sie kaputt zu sparen.

Den Bibliotheken vorzuwerfen, sie seien ewig gestrig und würden sich nicht bewegen ist vor diesem Hintergrund ein starkes Stück. M.E. sind es die Städte (bzw. Träger allgemein), die mehr über den Tellerrand schauen sollten in Richtung Nachhaltigkeit und Strategie – ganz im Sinne des Neuen Steurungsmodells der 1990er Jahre….

Genderfragen in der Bibliothek

Im Rahmen der aktuellen (noch laufenden) Ringvorlesung

„Gender, Race, Class, Bodies: Diversity als berufliche Schlüsselkompetenz.“

an der Fachhochschule Potsdam hatte ich die Gelegenheit, einen Vortrag zu halten über Diversity in Bibliotheken (hier die Ankündigung). Nachdem ich zusammen mit Karin Weiß 2007 die Diplomarbeit von Wolfgang Kaiser[1.] zu diesem Thema betreut hatte, aber nicht erst seitdem, beschäftigten mich Genderfragen, ohne dass ich mich wissenschaftlich damit auseinander gesetzt hatte.

Der Vortrag war ein Anlass dies etwas zu vertiefen. Allerdings bin ich zunächst noch nicht sehr weit gekommen. Ich führe dies auch darauf zurück, dass es (noch?) die einschlägigen Ergebnisse der Genderforschung bezogen auf Bibliothekare und Bibliothekarinnen bzw. ihre Kunden und Kundinnen nicht gibt. Zu sehr herrscht hier wie überhaupt in der Bibliothekswissenschaft eher die Äußerung von Befindlichkeiten vor und die Beschreibung von Situationen mit ad hoc eingesetzten Methoden bzw. ohne Bezug auf einen State of the Art – kurz kaum Evidenz basiert[2.]. Das Thema hat aber insgesamt wohl auch im Bibliotheksbereich Konjunktur, nachdem der Film von Danilo Vetter auch auf dem BID Kongress gezeigt wurde.

Einzig die Diskussion im frankophonen Bereich erscheint mir aber einigermaßen fundiert, bloß eben französisch, d.h. nicht nur in einer Sprache, die nicht viele Bibliothekswissenschaftler lesen (bis auf Stefan Gradmann), sondern mit komplexeren Konzepten umgehend. Hier sind viele durch die Schule von Foucault und Derrida gegangen, die in Deutschland im Bibliotheksbereich ja häufig als nicht lesbar und irrelevant eingestuft werden.

Interessant ist auch, z.B. an den Studien von Mariangela Roselli[3.], dass sie eher komplexe qualitative Erhebungsmethoden benutzen, die in Deutschland erst so langsam entdeckt werden. Vielleicht bedeutet dies, dass es sich auch bei Genderfragen um ein komplexeres Phänomen handelt, dem mit quantitativen Methoden nicht beizukommen ist (ja-nein Fragen: „Sind Sie ein Mann oder eine Frau?“). Ich freue mich auf die weitere Diskussion mit unserer Gleichstellungsbeauftragten.

[1.] Kaiser, Wolfgang: Diversity Management. Eine neue Managementkultur der Vielfalt – für ein neues Image der Bibliotheken. Berlin: Simon Verl. für Bibliothekswissen, 2008.

[2.] vgl. Evidence based library and information practice

[3.] Roselli, Mariangela (2011): La bibliothèque, un monde de femmes. Déterminations et conséquences sur la segmentation des publics jeunes dans les bibliothèques. In: Réseaux 168/169 (2011),4-5, S. 133–164. Online verfügbar unter http://www.cairn.info/revue-reseaux-2011-4.htm. – gekürzte deutsche Fassung in Vorbereitung für Bibliothek. Forschung und Praxis. Dank an Wolfgang Kaiser für den Hinweis!

ICT Hubs

ICT-Hub-Seite

Ideenskizze ICT Hubs

Versuch eines Beitrages zum Riesengroßprojekt des BMBF Zwanzig20 – Partnerschaft für Innovation: die Ausschreibung zeichnet sich nicht nur durch die schiere Größe des zu beantragenden Fördervolumens aus, sondern auch durch eine zum normalerweise betriebswirtschaftlichen Diskurs (Firmen gründen) m.W. zum ersten mal auftauchenden, prinzipielleren volkswirtschaftliche Reflexionen. Leider bleiben diese dann aber doch im Antragsjargon auf der Strecke. Es

sollen die in den Neuen Ländern aufgebauten herausragenden wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Kompetenzen durch überregionale und interdisziplinäre Kooperationen systematisch für die Zukunft ausgebaut werden. Dabei gilt es, Grenzen im Denken zu überwinden. Aber auch Grenzen von Technologien, wissenschaftlichen Disziplinen, Branchen, Märkten und Organisationskulturen. Über neue Formen der Vernetzung, über offene, transparente und reflexive Prozesse des Netzwerkmanagements bei der Projektumsetzung sollen neuartige Innovationsstrukturen entstehen. (aus der Ankündigung auf der Website des BMBF)

Die FH Potsdam beteiligt sich unter Konsortialführung von eICT mit einem Antrag, der eine große Anzahl Partner und Themen zusammenführt und u.a. die Demographieproblematik und die Landflucht in den Neuen Bundesländern adressiert. Ein Schwerpunkt ist dabei die Mobilität, aber auch die Frage der Attraktivität der Region für Fachkräfte und Bildungsinteressierte.

In Anlehnung an die französischen „Médiathèque de proximité“ (Les Rûches) ist mein Beitrag die Idee der Entwicklung multimedialen von Medien- und Lernzentren, die als Hubs in der Netzwerkstruktur der Verkehrs- und Mobilitätsströme einen Knotenpunkt zum Verweilen anbieten.

Hier meine Ideenskizze als pdf.

Die ‚Stimme der Hochschulen‘ fordert mehr Informationskompetenz – überall

Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) hat in ihrer Sitzung am 20.11.2012 ein Papier mit dem Titel: Hochschule im digitalen Zeitalter: Informationskompetenz neu begreifen – Prozesse anders steuern beschlossen, in dem sie eine bessere Implementation von Informationskompetenz an den Hochschulen fordert. (Interessanterweise ist das Papier „vorerst nur zur Verwendung innerhalb der HRK“).

Das Papier entstand unter dem Eindruck des KII Papiers zur Zukunft der Informationsinfrastruktur im Sommer letzten Jahres und bezieht sich explizit auf die entsprechenden Arbeitsgruppen und die Empfehlungen des Wissenschaftsrates. Es ist also außerordentlich zu begrüßen, dass die weitreichenden Empfehlungen des KII Papiers hier nun konkrete Konsequenzen nach sich ziehen – zumindest in der Diskussion innerhalb der offiziellen Vertretung der Hochschulen. Umsetzen müssen diese Empfehlungen natürlich die Länder und/oder die einzelnen in der HRK vertretenen Rektoren und Präsidenten der Hochschulen.

Was zunächst überrascht, ist die etwas anders gelagerte Zielrichtung der Diskussion um Informationskompetenz. Wurde bisher üblicherweise „nur“ die Informations- und Medienkompetenz der „Kunden“ betrachtet unter dem Tenor „es gibt mehr als Google“, so wird hier jetzt explizit „der Begriff […] gegenüber seiner herkömmlichen Verwendung deutlich ausgeweitet.“

Es bedarf nicht nur einer Harmonisierung des Informationsmanagements und der Informationsinfrastruktur, sondern integrativ auch der Stärkung der Informationskompetenz auf allen Ebenen der Organisation. […]

Es wird nicht nur die akademische Informationskompetenz betrachtet, die in Lehre und Forschung zum Tragen kommt, sondern auch die organisationsbezogene Informationskompetenz, die sich auf alle hochschulinternen Abläufe bezieht. (S.3)

Zielgruppen der Initiative wären die Studierenden, die Lehrenden, die Hochschulleitungen und die Informationsdienstleister in den Hochschulen wie die Bibliotheken und Rechenzentren. Auf allen Ebenen sollen Kompetenzen erweitert werden durch strukturelle Maßnahmen oder durch Training und Weiterbildung. Wobei die Kompetenzerweiterung bei den Dienstleistern auch gelesen werden kann als Erweiterung der Befugnis…) Immer wieder im Fokus der Überlegungen sind Fragen des Informations- und Wissensmanagements an Hochschulen. Argumentativer Ausgangspunkt sind Schlagworte aus dem letzten Jahrzehnt (man höre und staune): die Entwicklung in den „social media„, die Konsequenzen fordert im Sinne des „information life cycle“ Modells … nun, ja etwas verkürzt wiedergegeben. Hier das Zitat „im Kontext“

Auch die Forschung verändert sich grundsätzlich: Wissen wird in der Interaktion ständig neu produziert und muss im Modell des information life cycle neu begriffen werden. (S. 4-5)

Ich finde dieser Satz verdient eine längere Kontemplation…. lesen Sie ihn bitte noch einmal.

Schon an dieser Stelle veränderte sich meine wohlwollend neugierige Lektürehaltung. Ich hielt auf den folgenden ca. 15 Seiten Ausschau nach weiteren Schlagworten: und sie kamen auch: vom Controlling bis zu CIO und dem data librarian. Bei letzterem kann ich ja nichts sagen, da ich ihn mit in die deutsche Diskussion eingeführt habe 1. Besonders stutzig kann der geneigte Leser werden bei der Begriffsdefinition „Informationskompetenz“. Hier wird doch tatsächlich auf „unveröffentlichte Powerpoint Folien“ als Quelle verwiesen. Nichts gegen diesen indirekten Beitrag von Christian Wolff (Uni Regensburg) – es ist auch sehr folgerichtig, dass aufgrund dieser Begriffscharakterisierung vom engeren Medienkompetenzbegriff Abstand genommen wird. Für mich ist diese „informationskompetente“ Vorgehensweise in einem politischen Papier zu einem zentralen Thema der digitalen Gesellschaft eher ein Indiz dafür, dass sogar die Akteure weder die entsprechende Kompetenz haben noch sich Gedanken darüber machen (können), warum dies so ist. (Die in der Informationswissenschaft bekannte Selbstüberschätzung im Rahmen des information satisficing 2. Später wird auf die ALA Definition verwiesen und dann doch wieder auf Medienkompetenz.)

Bei den vorgeschlagenen Lösungswegen tauchen die Begriffe Netzwerk und Arbeitsgruppe besonders häufig auf. Was stets ein Zeichen dafür ist, dass man grundlegende Änderungen z.B. in den Ressourcen nicht in Erwägung zieht. Lobenswert ist die Forderung nach einer neuen Stefi-Studie wie ich es schon seit langem thematisiere.

Für mich entsteht vor allem deshalb die Frage, wer soll die geforderten Trainingskurse für Studierende, Dozenten, Rektoren, Forscher und Bibliothekare mit welchen Inhalten durchführen. Natürlich werden sich Bibliothekare finden, die entsprechend den vorhandenen Modellen der Informationskompetenzschulungen Kurse abhalten werden. Ich habe selber in meinem richtigen Leben (vor der Fachschullehrerposition) auch solche Kurse gegeben. Evaluiert man diese Art Kurse jedoch genauer, so kann man sehen, dass der in dem Papier geforderte erweiterte Kompetenzbegriff – bis hin zu Informationsverantwortung – dadurch nicht erreicht werden kann.

Dem Papier und der aktuellen Diskussion um den Wandel der Gesellschaft 3 fehlt die eigentliche Konsequenz. Um ein Themenfeld verändern zu können, muss man a) das Themenfeld genau kennen (z.B. mit einer Begriffsanalyse anhand von Powerpointfolien) und b) wissen, wie man das evtl. neue Themengebiet am besten jemandem vermitteln kann (z.B. durch Arbeitskreise und Trainingskurse im Computerlabor… oder?).

Mein Punkt ist: Weder eine fundierte informationswissenschaftliche Analyse dessen, was Informationskompetenz ist, liegt vor – und kann derzeit von der schwach besetzten, eher technologisch orientierten Informationswissenschaft nicht geleistet werden, noch haben wir einen irgendwie nennenswerten Ansatz einer Fachdidaktik. Hier hätte das Papier deutlicher darauf hinwirken sollen 4. Stattdessen wird ggf. entsprechende Entscheidungen an die informationskompetenten Hochschulleitungen delegiert – die man aber gerne vorher noch mit Informationsmanagement vertraut machen möchte.

 

  1. Pampel, Heinz; Bertelmann, Roland; Hobohm, Hans-Christoph (2010): „Data Librarianship“ – Rollen, Aufgaben, Kompetenzen. Berlin: Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten / BMBF (Working paper series des RatSWD, 144).
  2. Prabha, Chandra; Connaway, Lynn Silipigni; Olszewski, Lawrence; Jenkins, Lillie R. (2007): What is enough? Satisficing information needs. In: Journal of Documentation 63 (1), S. 74–89.
  3. vgl. zuletzt das sehr lesenswerte Büchlein: Bunz, Mercedes (2012): Die stille Revolution. Wie Algorithmen Wissen, Arbeit, Öffentlichkeit und Politik verändern, ohne dabei Lärm zu machen. Berlin: Suhrkamp.
  4. unter den genannten Beiträgern zu dem Papier finden sich leider äusserst wenige Informationswissenschaftler im engeren Sinn, sondern eher solche, die aus anderen Fachgebieten allgemeine Informationskompetenz selber erworben haben. Es sprechen wie so häufig notgedrungen Personen über die informationswissenschaftliche Themen, die gar keine Informationswissenschaftler sind.