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Internationale Fachpresse

Eine weitere Publikation aus dem ALMPUB Kontext erschienen!

Dank der unermüdlichen Redaktionsarbeit von Jamie Johnston und einer erweiterten Runde von Autorinnen konnten wir mit einer jetzt noch größeren Anzahl von Teilnehmerländern eine vergleichende Analyse anstellen zum Selbstbild von Bibliothekarinnen in sieben europäischen Ländern. Neben den bisherigen Ländern der ALMPUB Studien (Dänemark, Norwegen, Schweden, Ungarn und Deutschland) sind jetzt noch Island und Polen dazugekommen mit Berufsgruppen repräsentativen Erhebungen.

Deutliches länderübergreifendes Ergebnis ist die Akzeptanz des social turn der Bibliotheksarbeit, während der digital turn leider noch etwas am Horizont wartet.

The activities realized in the library’s physical space like special events, conversation groups or creative programs, as well as activities outside the library, characterize and shape the way libraries serve as public spaces and are part of the social turn […]. These results indicate that libraries are no longer just media lending stations for readers but are opening up to the social realm of the public sphere. (p. 1122)

Der zusammenfassende erste Satz der „conclusion“ macht es deutlich:

The results show evidence of a unified professional culture with clear influences from national contexts. In-depth research is needed to explore the digital turn and the aspects most relevant in the respective national contexts, including the exact nature of the community needs and the specific competencies needed. (p. 1128)

Es gibt zwar ein allgemeines, länderübergreifendes bibliothekarisches Selbstverständnis, die Unterschiede im Detail zeigen aber gerade auch für die lokalen Kontexte, dass bei der Übernahme „neuer“ Rollen und Aufgaben, die bibliothekswissenschaftliche Forschung sich differenzierterer Methoden bedienen muss, um die jeweiligen infrastrukturellen Anforderungen besser zu verstehen und spezifische Konsequenzen ziehen zu können.

Referenz:

Johnston, Jamie; Pálsdóttir, Ágústa; Mierzecka, Anna; Audunson, Ragnar; Hobohm, Hans-Christoph; Tóth, Máté et al. (2022): Pubic Librarians’ Perception of Their Professional Role and the Library’s Role in Supporting the Public Sphere. A Multi-Country Comparison. In: Journal of Documentation 78 (5), 1109-1130. DOI: 10.1108/JD-09-2021-0178.

 

Bibliotheken: vom gesellschaftlichen Funktionsgedächtnis zur fünften Gewalt im Staat

Vortrag zum Auftakt der Jubiläumsveranstaltungen der SLB (Foto SLB/S.Weber)

Anlässlich des Starts einer Reihe von Jubiläumsveranstaltungen zur Feier des 100-jährigen Bestehens der Brandenburgischen Landes habe ich als Vorsitzender der Potsdamer Bibliotheksgesellschaft einen Überblicksvortrag gehalten zu Geschichte und Zukunft von Bibliotheken (wie die Presse schrieb).

Als mündlicher Vortrag ist natürlich der wissenschaftliche Apparat nicht so ausgeprägt. Ich hoffe aber dennoch, dass der Text (hier das Vortragsmanuskript), die eine oder andere zusammenfassende Anregung gibt. Da es schon konkrete Nachfragen gab, poste ich ihn hier.

Begleitend gab es eine Diashow mit aktuellen Beispielen spektakulärer Bibliotheken wie auch schon bei meinem Vortrag in der Friedenskirche. Auch weil der Vortagstermin in die Mittagszeit der Wochenendeinkäufe fiel, waren leider recht wenig Zuhörer da, obwohl wir mit einem Umtrunk und einer Magazinführung gelockt hatten.

Informations- und Bibliotheksethik

Gerade in dem Moment, als ich mal wieder eine Bachelorarbeit zu einem bibliotheksethischen Thema prüfe, erhalte ich die Meldung, dass meine Rezension zu diesem neuen Standardwerk erschienen ist in Bibliothek. Forschung und Praxis.

Man kann meiner etwas ausführlichen Rezension anmerken, dass ich das Buch mit Vergnügen in Gänze gelesen habe. Ich hatte ja auch schon vor einigen Semestern die Gelegenheit, zusammen mit Hermann Rösch eine Bachelorarbeit zu betreuen und viel von ihm gelernt.

Ich teile vor allem auch seine Einschätzung zum Stand der Diskussion zu ethischen Fragen in unserer Profession in Deutschland. Auch ich habe ja während meiner langen Zeit als IFLA officer die eher zwiespältige Erfahrung gemacht, mit anderen Augen von außen auf unser Land zu schauen.

Besonders interessant fand ich an dem Buch von Hermann Rösch, dass er einen wichtigen Bezugspunkt bei den fünf Bibliotheksgesetzen von Ranganathan und ihrer Neuinterpretation durch Michael Gorman findet. Ich hatte in meinen Vorlesungen stets das Gefühl, hier zu exotisch zu werden.

An Michael Gorman erinnere ich mich persönlich mit gemischten Gefühlen, weil er anläßlich seines Keynote Vortrags 2003 an der FH Potsdam auf der IFLA Satelliten-Konferenz von EUCLID den iSchools die Leviten las und davor warnte, das „L“-Wort aus den Studiengängen und Namen der Departments zu streichen – was wir in Potsdam ja gerade kurz zuvor auch getan hatten. Mit seinem „Our Endring Values Revisited“ (2015) hat er das dann ja noch mal eindringlich wiederholt und Recht behalten mit dem Statement, dass die Sorge (Stewardship) um „The Greater Common Good“ (das Gemeinwohl) der zentrale ethische Wert für Bibliotheken ist.

Mehr hierzu im Open Access:

Hobohm, Hans-Christoph. “ Hermann Rösch: Informationsethik und Bibliotheksethik. Grundlagen und Praxis. Berlin, Boston: De Gruyter Saur, 2021 (Bibliotheks- und Informationspraxis: 68). XVI + 584 S., 10 Tabellen. ISBN 978-3-11-051959-4, 69,95 €“ Bibliothek Forschung und Praxis, vol. 46, no. 1, 2022, pp. 239-241. https://doi.org/10.1515/bfp-2022-0003

Wie sehen sich Bibliothekarinnen in Europa?

Noch als letzte Aktion im Jahr 2021 erscheint ein weiterer kooperativer Artikel des ALMPUB Projektes als „ahead-of-print“.

Im Vergleich zu unserem ersten Beitrag zur Selbsteinschätzung der Profession(en) auf der COLIS Konferenz 2019 [1] konnte das Projektteam und der Erhebungsscope diesmal um zwei weitere Länder ergänzt werden: Polen und Island (neben weiterhin: Dänemark, Deutschland, Norwegen, Schweden und Ungarn) . Die Ergebnisse beziehen sich hier allerdings diesmal nur auf die Bibliothekscommunity:

Johnston, J., Pálsdóttir, Á., Mierzecka, A., Audunson, R.A., Hobohm, H.-C., Rydbeck, K., Tóth, M., Hvenegaard Rasmussen, C., Jochumsen, H., Khosrowjerdi, M. and Evjen, S. (2021), „Public librarians‘ perception of their professional role and the library’s role in supporting the public sphere: a multi-country comparison“, Journal of Documentation, Vol. ahead-of-print No. ahead-of-print. https://doi.org/10.1108/JD-09-2021-0178

Die hinzugenommen Länderergebnisse sind recht aufschlussreich, da sie einerseits die positive nordische Perspektive ergänzen, andererseits auch weitere Detailfragen zur Community Einbindung und dem Selbstverständnis der Bibliothekar:innen erhellen.

Da sich die gesamte Philosophie des ALMPUB Projektes wie überhaupt die „Library as a place“ Forschung auf Habilitation von Jürgen Habermas „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ (1962 – erst 1989 in Englische übersetzt [2]) bezieht, ist interessant zu lesen, dass sich Habermas (über 90jährig) auch unlängst noch zu seinem Konzept der „Bürgerlichen Öffentlichkeit“ kritisch-differenziert geäussert hat [3]. Sah er noch für das 18. Jahrhundert einen emanzipatorischen Impuls durch die neuen Medien, ist er im Hinblick auf den aktuellen Kommunikationswandel eher pessimistisch: „Heute sind die Zeichen politischer Regression mit bloßem Auge erkennbar.“ (S.486)

Und auch er sieht einen fundamentalen Wandel analog zum Entstehen der „Gutenberg-Galaxis“, den er jedoch anders auf den Punkt bringt als viele andere:

Wie der Buchdruck alle zu potentiellen Lesern gemacht hatte, so macht die Digitalisierung heute alle zu potentiellen Autoren. Aber wie lange hat es gedauert, bis alle lesen gelernt hatten? (S. 488–489)

Und ganz im Sinne der kritischen Theorie betont er dann den problematischen Warencharakter von Informationen:

In erster Linie unterliegen sie nicht den Qualitätsstandards von Waren, sondern den kognitiven Standards von Urteilen, ohne die es für uns weder die Objektivität der Welt von Tatsachen noch die Identität und Gemeinsamkeit unserer intersubjektiv geteilten Welt geben kann. (S. 499)

Mit Sicherheit werden solche Überlegungen an der Grenze zur Turing Galaxis ähnlich Paradigma bildend sein wie der Spatial Turn und seine Idee der Public Sphere. Sein Hinweis auf die kognitive Dimension ist dabei ein guter Hinweis für die Neuausrichtung von Library and Information Science (wie sie ja auch aktuelle schon teilweise zu beobachten ist).

 

Referenzen:

[1] Audunson, Ragnar; Hobohm, Hans-Christoph; Tóth, Máté (2019): ALM in the public sphere. How do archivists, librarians and museum professionals conceive the respective roles of their institutions in the public sphere? Proceedings of CoLIS, the Tenth International Conference on Conceptions of Library and Information Science, Ljubljana, Slovenia, June 16-19, 2019. In: Information Research 24 (4), paper colis1917. Online verfügbar unter http://www.informationr.net/ir/24-4/colis/colis1917.html.
aktualisiert in: Audunson, Ragnar; Hobohm, Hans-Christoph; Tóth, Máté (2020): LAM professionals and the public sphere. How do librarians, archivists and museum professionals conceive the respective roles of their institutions in the public sphere? In: Ragnar Audunson, Herbjørn Andresen, Cicilie Fagerlid, Erik Henningsen, Hans-Christoph Hobohm, Henrik Jochumsen et al. (Hg.): Libraries, archives and museums as democratic spaces in a digital age. Berlin: De Gruyter Saur, 165-183.

[2] Habermas, Jürgen (1962): Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Darmstadt:: Luchterhand. / Habermas, Jürgen (1989): The structural transformation of the public sphere. An inquiry into a category of bourgeois society. Cambridge: Polity Press.

[3] Habermas, Jürgen (2021): Überlegungen und Hypothesen zu einem erneuten Strukturwandel der politischen Öffentlichkeit. In: Martin Seeliger und Sebastian Sevignani (Hg.): Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit? Baden-Baden: Nomos (Sonderband Leviathan, 37), S. 470–500.

Emeritus…

Leider gibt es diesen Status nicht mehr. Aber seit 1. April bin ich „verantwortungslos“ geworden. Will sagen: es ist ein gutes Gefühl, die Welt und auch die Communities zu beobachten, ohne stets alles im Hinblick auf Lehre und Wissensvermittlung an die Studierenden betrachten zu müssen. Beim Aufräumen meines „Videoscreen-Hintergrundregals“ ist mir aufgefallen, wieviel ich aufbewahrt habe in den letzten 25 Jahren „just-in-case“, es könnte für die eine oder andere Lehrveranstaltung nützlich sein. Viele Memorabilien aus Exkursionen und Bibliotheksbesichtigungen, viele, viele Overhead-Folien und Dinge zum Zeigen in Seminaren und Vorlesungen. Im Regal ist mir auch fast zufällig aufgefallen, in wievielen Bänden des Regals versteckt Publikationen von mir enthalten sind; die habe ich dann erstmal nicht entsorgt. Vielleicht zuviele „Gelegenheitspublikationen“ in Festschriften, Sammelbänden und Proceedings. Die Entbindung von den übermäßigen Lehrverpflichtungen der FH lässt die Hoffnung aufscheinen, mich nun mit den eigentlichen Dingen beschäftigen zu können. Und nein: ich werde den Doktorhut nicht an den Nagel hängen (ins Regal wie auf dem Bild), sondern sicher weiter mit Interesse und hoffentlich auch Engagement die Informationsgesellschaft – wie wir früher sagten – beobachten und vielleicht auch das eine oder andere publizieren. Aber erst mal muss über 25 Jahre Resturlaub nachgeholt und nicht nur das Regal sortiert und ausgemistet werden. Continue reading