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Lokalpresse

In meiner Funktion als Vorsitzender der Potsdamer Bibliotheksgesellschaft hatte ich das Vergnügen, auch in Potsdam von der Lokalpresse interviewt zu werden.

Volker Oelschläger hat mit mir recht lange über die Situation der Stadt- und Landesbibliothek, aber auch über das Missverständnis Bibliothek an sich gesprochen.

Professionell gemacht und wirklich gut redigiert. Ein Beispiel davon, dass auch für ein „kurzes“ Interview, Zeit und Situation maßgebliche Faktoren sind. Passend zu der Analyse von Schüller-Zwierlein, dass es boētheia (Hilfestellung) und scholē (Muße) bedarf in unserer schnelllebigen Informationswelt.

Seniorprof

Obwohl ich ja schon ziemlich lange am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft (IBI) im Fernstudium unterrichte, ist es doch ein neues Gefühl, seit heute dort im regulären Betrieb dabei zu sein. Ich weiß zwar noch nicht ganz genau, was eine „Seniorprofessur“ bedeutet (den Vertrag habe ich letzte Woche unterschrieben), aber die Vorfreude ist dennoch groß, endlich mal wieder „klassische“ universitäre Lehre machen zu dürfen. Mir hat Lehre immer recht viel Spaß gemacht, z.B. an der Uni Köln oder in Stuttgart. Ich hatte zwar auch schon früh Lehraufträge an der FH Köln, aber die 18 SWS dann später an der FHP waren dann doch etwas anderes.

Für das Sommersemester habe ich die Gelegenheit, ein Seminar im Vertiefungsbereich anbieten zu können. Ich habe dabei die Beobachtung aufgegriffen, dass in der Informationswissenschaft in letzter Zeit recht viele Publikationen mit historischen Bezügen erschienen sind, wie z.B. Michael Bucklands „Ideology and Libraries“ (2021) oder Ann Blairs und Paul Duguids (et al.) „Information. A Historical Companion“ (2021). [zu beiden sind auch Rezensionen von mir in der Pipeline]

Der Titel des Seminars lautet deshalb: Geschichte und internationale Politik der Information – von der Seidenstraße der Antike bis zu den InfoWars des Cyberspace

Die Idee war dann auch, ein solches Seminarangebot für Studierende mit entsprechenden Zweitfächern zu konzipieren, damit hier Interdisziplinarität gelebt werden kann. Das betrifft natürlich Historiker und Politologen oder Kulturwissenschaftler, aber auch Romanisten (Französisch-Studierende), weil wir natürlich auch Paul Otlet und Henri Lafontaine besprechen müssen, die ja beide leider ziemlich aktuell geworden sind aufgrund ihrer Rolle als Friedensbotschafter nach dem Ersten Weltkrieg.

Die Erläuterung zum Seminar sind auf dieser Seite ausführlicher.

Was die Rolle als Seniorprof sonst noch bedeutet: ich lasse mich überraschen.

Wie sehen sich Bibliothekarinnen in Europa?

Noch als letzte Aktion im Jahr 2021 erscheint ein weiterer kooperativer Artikel des ALMPUB Projektes als „ahead-of-print“.

Im Vergleich zu unserem ersten Beitrag zur Selbsteinschätzung der Profession(en) auf der COLIS Konferenz 2019 [1] konnte das Projektteam und der Erhebungsscope diesmal um zwei weitere Länder ergänzt werden: Polen und Island (neben weiterhin: Dänemark, Deutschland, Norwegen, Schweden und Ungarn) . Die Ergebnisse beziehen sich hier allerdings diesmal nur auf die Bibliothekscommunity:

Johnston, J., Pálsdóttir, Á., Mierzecka, A., Audunson, R.A., Hobohm, H.-C., Rydbeck, K., Tóth, M., Hvenegaard Rasmussen, C., Jochumsen, H., Khosrowjerdi, M. and Evjen, S. (2021), „Public librarians‘ perception of their professional role and the library’s role in supporting the public sphere: a multi-country comparison“, Journal of Documentation, Vol. ahead-of-print No. ahead-of-print. https://doi.org/10.1108/JD-09-2021-0178

Die hinzugenommen Länderergebnisse sind recht aufschlussreich, da sie einerseits die positive nordische Perspektive ergänzen, andererseits auch weitere Detailfragen zur Community Einbindung und dem Selbstverständnis der Bibliothekar:innen erhellen.

Da sich die gesamte Philosophie des ALMPUB Projektes wie überhaupt die „Library as a place“ Forschung auf Habilitation von Jürgen Habermas „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ (1962 – erst 1989 in Englische übersetzt [2]) bezieht, ist interessant zu lesen, dass sich Habermas (über 90jährig) auch unlängst noch zu seinem Konzept der „Bürgerlichen Öffentlichkeit“ kritisch-differenziert geäussert hat [3]. Sah er noch für das 18. Jahrhundert einen emanzipatorischen Impuls durch die neuen Medien, ist er im Hinblick auf den aktuellen Kommunikationswandel eher pessimistisch: „Heute sind die Zeichen politischer Regression mit bloßem Auge erkennbar.“ (S.486)

Und auch er sieht einen fundamentalen Wandel analog zum Entstehen der „Gutenberg-Galaxis“, den er jedoch anders auf den Punkt bringt als viele andere:

Wie der Buchdruck alle zu potentiellen Lesern gemacht hatte, so macht die Digitalisierung heute alle zu potentiellen Autoren. Aber wie lange hat es gedauert, bis alle lesen gelernt hatten? (S. 488–489)

Und ganz im Sinne der kritischen Theorie betont er dann den problematischen Warencharakter von Informationen:

In erster Linie unterliegen sie nicht den Qualitätsstandards von Waren, sondern den kognitiven Standards von Urteilen, ohne die es für uns weder die Objektivität der Welt von Tatsachen noch die Identität und Gemeinsamkeit unserer intersubjektiv geteilten Welt geben kann. (S. 499)

Mit Sicherheit werden solche Überlegungen an der Grenze zur Turing Galaxis ähnlich Paradigma bildend sein wie der Spatial Turn und seine Idee der Public Sphere. Sein Hinweis auf die kognitive Dimension ist dabei ein guter Hinweis für die Neuausrichtung von Library and Information Science (wie sie ja auch aktuelle schon teilweise zu beobachten ist).

 

Referenzen:

[1] Audunson, Ragnar; Hobohm, Hans-Christoph; Tóth, Máté (2019): ALM in the public sphere. How do archivists, librarians and museum professionals conceive the respective roles of their institutions in the public sphere? Proceedings of CoLIS, the Tenth International Conference on Conceptions of Library and Information Science, Ljubljana, Slovenia, June 16-19, 2019. In: Information Research 24 (4), paper colis1917. Online verfügbar unter http://www.informationr.net/ir/24-4/colis/colis1917.html.
aktualisiert in: Audunson, Ragnar; Hobohm, Hans-Christoph; Tóth, Máté (2020): LAM professionals and the public sphere. How do librarians, archivists and museum professionals conceive the respective roles of their institutions in the public sphere? In: Ragnar Audunson, Herbjørn Andresen, Cicilie Fagerlid, Erik Henningsen, Hans-Christoph Hobohm, Henrik Jochumsen et al. (Hg.): Libraries, archives and museums as democratic spaces in a digital age. Berlin: De Gruyter Saur, 165-183.

[2] Habermas, Jürgen (1962): Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Darmstadt:: Luchterhand. / Habermas, Jürgen (1989): The structural transformation of the public sphere. An inquiry into a category of bourgeois society. Cambridge: Polity Press.

[3] Habermas, Jürgen (2021): Überlegungen und Hypothesen zu einem erneuten Strukturwandel der politischen Öffentlichkeit. In: Martin Seeliger und Sebastian Sevignani (Hg.): Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit? Baden-Baden: Nomos (Sonderband Leviathan, 37), S. 470–500.

Bibliotheken sind wesentliche Orte in der Digitalität

Photo: An_ti via Twitter

Am 6. November 2019 hatte ich Gelegenheit, einige weitere Ergebnisse aus unserem europäischen Forschungsnetzwerk ALMPUB auch in Potsdam auf der Tagung der Landesfachstelle für Archive und Öffentliche Bibliotheken vorzustellen. Das Thema der Tagung war: „Die Öffentliche Bibliothek – Ankerpunkt im kommunalen Umfeld“ und damit wie geschaffen für einen Beitrag aus ALMPUB „Archives, Libraries, Museums in the public sphere„. Da sich das Projekt in der Schlussphase befindet, konnte ich aufbauend auf meinen Vortrag auf dem Bibliothekskongress im März noch weitere Ergebnisse hinzufügen, die im Sammelband des Projektes Anfang 2020 bei de Gruyter veröffentlicht werden. Vgl. z.B. die Statistiken zur Bibliotheksnutzung und -finanzierung im europäischen Vergleich, Folie 38 (s.Bidl hier) oder das Resultat der Regressionsanalyse über alle Daten, die deutlich macht, wie wichtig das Vertrauen in öffentliche Institutionen ist, was ich ab Folie 31 diskutiere. Natürlich ersetzen die Folien nicht die gesamte Präsentation, weshalb ich umso mehr auf die aktuell in Vorbereitung befindlichen Publikationen des Projektes hinweisen möchte (Schlussfolie). Ich muss insgesamt sagen, dass ich durch das dreijährige Projekt viel gelernt habe: über Demokratie, über Europa, über Bibliotheken, aber auch über die deutsche Bibliothekswissenschaft (im Kontrast).

Das Highlight der Tagung unserer Landesfachstelle war nicht die Verabschiedung ihrer langjährigen Leitung, Frau Doris Stoll – das war eher ein trauriger Moment, da mit ihrem Ausscheiden die gesamte Zukunft der Bibliotheken in Brandenburg in Frage gestellt ist. Das Highlight war der Vortrag von Aat Vos, dem Leiter des Architekturbüros, das derzeit in ganz Europa Bibliotheken zu veritablen Dritten Orten umbaut. Eigentlich konnte ich diesem Vortrag wenig hinzufügen, von der Ästhetik, der Performanz des Vortrags und von seinen Beispielen.

Andreas Mittrowan machte deutlich, dass unsere Moderationsausbildung im Master Informationswissenschaften genau das ist, was die Praxis derzeit braucht (von Personas, über Open Spaces, Fokus Gruppen und World Cafés bis zu Design Thinking). #ZW09 sei gegrüßt!

Alle Vorträge passten wunderbar zusammen und ineinander, so dass auch der leicht pessimistische, technologische Ausblick von Thorsten Koch (KOBV) einiges abrunden konnte, was vorher von anderen gesagt wurde. Aber auch er konnte damit sehr gut begründen, wie nötig öffentliche Infrastruktur und vertrauensbildende Einrichtungen des Gemeinwohls wie Bibliotheken sind und bleiben. Von wegen Tragedy of Commons! Eher die Wiederentdeckung der Fundamentalökonomie.

Archives, Libraries and Museums in the public sphere in five countries

Finally my presentation at the CoLIS conference in Ljubljana is online. We are working on the text for the proceedings and a similar publication just went into the publication system for the German Library Congress Proceedings (see previous post here).

I was presenting the paper just the day before Habermas‘ 90th birthday and we could show the cover page of DIE ZEIT from this week with one of his rare photos celebrating him as the „most famous philosopher of our time“. Indeed the discussion in our ALMPUB sessions showed that it is perhaps time to look after his disciples (Axel Honneth) and critics (Lyotard, Rancière) to address the current situation in our digital societies (as did some commentaries on this special edition on Habermas in DIE ZEIT).

Our project nevertheless started in the vein of the traditional „public sphere“ concept of Jürgen Habermas and reveiled through 18 surveys in over 6 european countries that there is a sort of a paradigm change experienced in the „ALM-field“. In an Age of Access (Rifkin 2000) we are constantly going to from „neutral“ collecting and information broking to being an active political stance in society. As I always said at least libraries have a role to play in the hegemonial power structure of every society (Gramsci).  Or as the swedish National Library Strategy says: they are the „femte statsmakten“ – the fifth power in a state (beyond the legislature, the executive, the judiciary, and the media in the „trias politica model“ after Montesquieu.).

 

For further information about the results of our project have a look at the forthcoming book at de Gruyters and the closing conference at the new Deichman library in Oslo in January 2020. Some other publications might be of interest:

  • Audunson, Ragnar; Aabø, Svanhild; Blomgren, Roger; Evjen, Sunniva; Jochumsen, Henrik; Larsen, Håkon et al. (2019): Public libraries as an infrastructure for a sustainable public sphere. A comprehensive review of research. In: Journal of Documentation 75 (4), S. 773–790. DOI: 10.1108/JD-10-2018-0157.
  • Audunson, Ragnar; Aabø, Svanhild; Blomgren, Roger; Hobohm, Hans-Christoph; Jochumsen, Henrik; Khosrowjerdi, Mahmood et al. (2019): Public libraries as public sphere institutions. A comparative study of perceptions of the public library’s role in six European countries. In: Journal of Documentation 75 (in print).
  • Audunson, Ragnar; Hobohm, Hans-Christoph; Tóth, Máté (2019): ALM in the public sphere. How do archivists, librarians and museum professionals conceive the respective roles of their institutions in the public sphere? Beitrag zur 10th Conference on Conceptions of Library and Information Science, Ljubljana, 2019. In: Information Research (Suppl. CoLIS10), in print.
  • Hobohm, Hans-Christoph (2019): Bibliotheken und Demokratie in Deutschland. Ergebnisse eines europäischen Projektes zu ihrer Rolle und ihrem Engagement für Demokratie und Gemeinwohl. In: o-bib. Das offene Bibliotheksjournal 6 (4), (zugleich: Proceedings des 7. deutschen Bibliothekskongresses „Bibliotheken verändern“, Leipzig, 18.-21. März 2019). in print.