Tag Archives: Berufsbild

Wie sehen sich Bibliothekarinnen in Europa?

Noch als letzte Aktion im Jahr 2021 erscheint ein weiterer kooperativer Artikel des ALMPUB Projektes als „ahead-of-print“.

Im Vergleich zu unserem ersten Beitrag zur Selbsteinschätzung der Profession(en) auf der COLIS Konferenz 2019 [1] konnte das Projektteam und der Erhebungsscope diesmal um zwei weitere Länder ergänzt werden: Polen und Island (neben weiterhin: Dänemark, Deutschland, Norwegen, Schweden und Ungarn) . Die Ergebnisse beziehen sich hier allerdings diesmal nur auf die Bibliothekscommunity:

Johnston, J., Pálsdóttir, Á., Mierzecka, A., Audunson, R.A., Hobohm, H.-C., Rydbeck, K., Tóth, M., Hvenegaard Rasmussen, C., Jochumsen, H., Khosrowjerdi, M. and Evjen, S. (2021), „Public librarians‘ perception of their professional role and the library’s role in supporting the public sphere: a multi-country comparison“, Journal of Documentation, Vol. ahead-of-print No. ahead-of-print. https://doi.org/10.1108/JD-09-2021-0178

Die hinzugenommen Länderergebnisse sind recht aufschlussreich, da sie einerseits die positive nordische Perspektive ergänzen, andererseits auch weitere Detailfragen zur Community Einbindung und dem Selbstverständnis der Bibliothekar:innen erhellen.

Da sich die gesamte Philosophie des ALMPUB Projektes wie überhaupt die „Library as a place“ Forschung auf Habilitation von Jürgen Habermas „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ (1962 – erst 1989 in Englische übersetzt [2]) bezieht, ist interessant zu lesen, dass sich Habermas (über 90jährig) auch unlängst noch zu seinem Konzept der „Bürgerlichen Öffentlichkeit“ kritisch-differenziert geäussert hat [3]. Sah er noch für das 18. Jahrhundert einen emanzipatorischen Impuls durch die neuen Medien, ist er im Hinblick auf den aktuellen Kommunikationswandel eher pessimistisch: „Heute sind die Zeichen politischer Regression mit bloßem Auge erkennbar.“ (S.486)

Und auch er sieht einen fundamentalen Wandel analog zum Entstehen der „Gutenberg-Galaxis“, den er jedoch anders auf den Punkt bringt als viele andere:

Wie der Buchdruck alle zu potentiellen Lesern gemacht hatte, so macht die Digitalisierung heute alle zu potentiellen Autoren. Aber wie lange hat es gedauert, bis alle lesen gelernt hatten? (S. 488–489)

Und ganz im Sinne der kritischen Theorie betont er dann den problematischen Warencharakter von Informationen:

In erster Linie unterliegen sie nicht den Qualitätsstandards von Waren, sondern den kognitiven Standards von Urteilen, ohne die es für uns weder die Objektivität der Welt von Tatsachen noch die Identität und Gemeinsamkeit unserer intersubjektiv geteilten Welt geben kann. (S. 499)

Mit Sicherheit werden solche Überlegungen an der Grenze zur Turing Galaxis ähnlich Paradigma bildend sein wie der Spatial Turn und seine Idee der Public Sphere. Sein Hinweis auf die kognitive Dimension ist dabei ein guter Hinweis für die Neuausrichtung von Library and Information Science (wie sie ja auch aktuelle schon teilweise zu beobachten ist).

 

Referenzen:

[1] Audunson, Ragnar; Hobohm, Hans-Christoph; Tóth, Máté (2019): ALM in the public sphere. How do archivists, librarians and museum professionals conceive the respective roles of their institutions in the public sphere? Proceedings of CoLIS, the Tenth International Conference on Conceptions of Library and Information Science, Ljubljana, Slovenia, June 16-19, 2019. In: Information Research 24 (4), paper colis1917. Online verfügbar unter http://www.informationr.net/ir/24-4/colis/colis1917.html.
aktualisiert in: Audunson, Ragnar; Hobohm, Hans-Christoph; Tóth, Máté (2020): LAM professionals and the public sphere. How do librarians, archivists and museum professionals conceive the respective roles of their institutions in the public sphere? In: Ragnar Audunson, Herbjørn Andresen, Cicilie Fagerlid, Erik Henningsen, Hans-Christoph Hobohm, Henrik Jochumsen et al. (Hg.): Libraries, archives and museums as democratic spaces in a digital age. Berlin: De Gruyter Saur, 165-183.

[2] Habermas, Jürgen (1962): Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Darmstadt:: Luchterhand. / Habermas, Jürgen (1989): The structural transformation of the public sphere. An inquiry into a category of bourgeois society. Cambridge: Polity Press.

[3] Habermas, Jürgen (2021): Überlegungen und Hypothesen zu einem erneuten Strukturwandel der politischen Öffentlichkeit. In: Martin Seeliger und Sebastian Sevignani (Hg.): Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit? Baden-Baden: Nomos (Sonderband Leviathan, 37), S. 470–500.

Das Dokument als Kern der Informationswissenschaft

Die Gastprofessorin am Fachbereich Informationswissenschaften, Prof. Dr. Roswitha Skare, berichtete gestern (in personam) im Rahmen des PIK – „Potsdamer Informationswissenschaftliches Kolloquium“ über die Neudefinition und Wiederentdeckung des „Dokuments“ als Grundlage informationswissenschaftlicher Studiengänge am Beispiel des Studiengangs an der Arctic University in Tromsø, Norwegen.

Hier ein paar ganz persönliche Notizen, die ich mitnehme. Continue reading

Archives, Libraries and Museums in the public sphere in five countries

Finally my presentation at the CoLIS conference in Ljubljana is online. We are working on the text for the proceedings and a similar publication just went into the publication system for the German Library Congress Proceedings (see previous post here).

I was presenting the paper just the day before Habermas‘ 90th birthday and we could show the cover page of DIE ZEIT from this week with one of his rare photos celebrating him as the „most famous philosopher of our time“. Indeed the discussion in our ALMPUB sessions showed that it is perhaps time to look after his disciples (Axel Honneth) and critics (Lyotard, Rancière) to address the current situation in our digital societies (as did some commentaries on this special edition on Habermas in DIE ZEIT).

Our project nevertheless started in the vein of the traditional „public sphere“ concept of Jürgen Habermas and reveiled through 18 surveys in over 6 european countries that there is a sort of a paradigm change experienced in the „ALM-field“. In an Age of Access (Rifkin 2000) we are constantly going to from „neutral“ collecting and information broking to being an active political stance in society. As I always said at least libraries have a role to play in the hegemonial power structure of every society (Gramsci).  Or as the swedish National Library Strategy says: they are the „femte statsmakten“ – the fifth power in a state (beyond the legislature, the executive, the judiciary, and the media in the „trias politica model“ after Montesquieu.).

 

For further information about the results of our project have a look at the forthcoming book at de Gruyters and the closing conference at the new Deichman library in Oslo in January 2020. Some other publications might be of interest:

  • Audunson, Ragnar; Aabø, Svanhild; Blomgren, Roger; Evjen, Sunniva; Jochumsen, Henrik; Larsen, Håkon et al. (2019): Public libraries as an infrastructure for a sustainable public sphere. A comprehensive review of research. In: Journal of Documentation 75 (4), S. 773–790. DOI: 10.1108/JD-10-2018-0157.
  • Audunson, Ragnar; Aabø, Svanhild; Blomgren, Roger; Hobohm, Hans-Christoph; Jochumsen, Henrik; Khosrowjerdi, Mahmood et al. (2019): Public libraries as public sphere institutions. A comparative study of perceptions of the public library’s role in six European countries. In: Journal of Documentation 75 (in print).
  • Audunson, Ragnar; Hobohm, Hans-Christoph; Tóth, Máté (2019): ALM in the public sphere. How do archivists, librarians and museum professionals conceive the respective roles of their institutions in the public sphere? Beitrag zur 10th Conference on Conceptions of Library and Information Science, Ljubljana, 2019. In: Information Research (Suppl. CoLIS10), in print.
  • Hobohm, Hans-Christoph (2019): Bibliotheken und Demokratie in Deutschland. Ergebnisse eines europäischen Projektes zu ihrer Rolle und ihrem Engagement für Demokratie und Gemeinwohl. In: o-bib. Das offene Bibliotheksjournal 6 (4), (zugleich: Proceedings des 7. deutschen Bibliothekskongresses „Bibliotheken verändern“, Leipzig, 18.-21. März 2019). in print.

New Librarianship auf dem Tag der Bibliotheken in Cottbus

Am 11. März 2017 konnte ich das New Librarianship Konzept von David Lankes auf dem Berlin-Brandenburger „Tag der Bibliotheken“ vorstellen. Im Minute Madness und mit kleinen Guerilla-Marketing Aktionen machten der Verlag und ich gleichzeitig auf das gerade erschienene Buch in deutscher Übersetzung aufmerksam. Die Resonanz war groß, obwohl es ja in einem recht kurzen Vortrag eher irritierend erscheint, davon zu sprechen, dass die Aufgabe von Bibliotheken nicht Bücher, sondern „Konversationen“ sind.

 

Diversity

Entwicklung im Diversity Thema

Entwicklung im Diversity Thema

Als ich vor ca. 10 Jahren die Diplomarbeit von Wolfgang Kaiser betreute, war das Thema Diversity Management noch ziemlich in seinen Kinderschuhen. Einzelne andere Diplomarbeiten hatten teilweise aus Betroffenenperspektive schon untersucht, wie Migranten oder andere Minoritäten in Bibliotheken „behandelt“ wurden (nämlich nicht gut), aber eine konzeptuelle Managementlösung des Problems war bisher noch kaum angegangen worden. Lediglich unter dem Begriff der multikulturellen Bibliotheksarbeit war seit 2005 in Stuttgart von Katrin Sauermann über ein ähnliches Thema gearbeitet worden. 2016 erscheint nun der Sammelband von Kristin Futterlieb und Judith Probtsmeyer, der damit sogar beide Stränge verbindet: „Diversity Management und interkulturelle Arbeit in Bibliotheken“ (de Gruyter). Das Buch konstatiert mit einer gewissen Befriedigung, dass das Thema nun in deutschen Bibliotheken angekommen ist. Interessanterweise wird der Band eröffnet mit drei Potsdamer (bzw. ehemaligen) Beiträgen: einem Vorwort von mir (iv-xi, s.u.), einem Beitrag von Leyla Dewitz: „Diversitätsansätze und bibliothekarische Arbeit“ 15-24) sowie einem Text von Wolfgang Kaiser: „Perspektiven zum Erhalt der Zukunftsfähigkeit von Bibliotheken durch Diversity Mainstreaming“ (25-42). Die weitere Palette der Beiträge gibt einen guten breitgefächerten Überblick über die aktuellen Ansätze und Praktiken zu sozialer, demographischer, kultureller oder sexueller Diversität in Bibliotheken wie auch zum Thema Inklusion.

Für mich war der Sammelband Anlass für einen Beitrag aus theoretischer Perspektive: warum es eine zwingende Grundlegung für Bibliotheken ist, divers zu sein. Hier mein Beitrag in voller Länge, da ich denke, dass angesichts der aktuellen politischen Lage nicht oft genug auf die Rolle der Bibliotheken in der demokratischen Gesellschaft hinzuweisen ist:

Bibliothek und Diversität. Eine theoretische Annäherung:

Im Personalmanagement ist Diversität (diversity management) seit einiger Zeit eingeführt und in manchen Verwaltungen bereits allgemeine Vorgabe. Zumindest haben wir hoffentlich wegen des sog. demographischen Wandels und des drohenden Fachkräftemangels gelernt, dass intergenerationelle Diversität notwendig ist zur Kompetenzerhaltung der Organisation. Im Nutzerkontakt und allgemeinen Bestandsaufbau ist es ebenfalls Standard, dass interkulturelle Aspekte – und sei es nur durch Sprachkompetenz der Mitarbeiter – berücksichtigt werden. Kundenorientierung und strategisches Marketing gebieten ein passgenaues Eingehen auf die Bedürfnisse der Zielgruppe, und da Bibliotheken Kultur-, Bildungs-, und Informations- also sprachbasierte Dienstleistungen anbieten, sind also entsprechend der intendierten Zielgruppe auch „diverse“ Kompetenzen auf der Seite der Bibliothek erforderlich. Der überwiegend weibliche bibliothekarische Berufsstand kann sich hier ggf. an der Pädagogik orientieren, die ebenfalls nicht müde wird, männliche Erzieher für die Jungen zu fordern.  Continue reading