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Menschen sind Informavores = Grundhypothese der Informationswissenschaften

Der fünfte Vortrag im Potsdamer Informationswissenschaftlichen Kolloquium führte uns nach Deutschland zurück. Prof. Dr. Klaus Lepsky berichtete aus Köln von dem Projekt des Buches zur Informationellen Kompetenz, das er zusammen mit Prof. Dr. Winfried Gödert im letzten Jahr publiziert hatte. Ich hatte als „Provokation“ dem Vortrag den Titel gegeben „Informationelle Kompetenz vs. Informationskompetenz“. Gleich zu Beginn der von ca. 50 Teilnehmern aus ganz Deutschland besuchten Veranstaltung betonte Klaus Lepsky, dass er diese Provokation gar nicht aufnehmen und vor allem kaum über Informationskompetenz sprechen werde. „Sie klingen ähnlich, sind aber nicht gleich.“ Continue reading

Informationelle Kompetenz

CoverRezension erschienen am 14.8.2020 in: Open Password, no 805

Gödert, Winfried; Lepsky, Klaus (2019): Informationelle Kompetenz. Ein humanistischer Entwurf. Berlin: De Gruyter Saur. XIV + 288 S. – zahlr. Abb., Glossar sowie Sach- und Personenregister – ISBN: 978-3-11-061738-2 – EUR 99,95

Es scheint ein gewisses Unbehagen an einem der zentralen Themen der Informationsbranche zu geben. Seit der Ausrufung der Teaching Library durch Claudia Lux und Wilfried Sühl-Strohmenger am Anfang des Jahrhunderts[1] ist Informationskompetenz nicht nur Kernaufgabe, sondern auch wesentlicher Bestandteil der Selbstdefinition von Bibliothekaren und Information Professionals. Schon der zweiten Auflage des Handbuchs Informationskompetenz gibt es kritische Töne am Konzept[2], aber auch die definitive Aussage des Herausgebers, dass eine Neudefinition nicht notwendig sei, weil es viele Begriffe von Informationskompetenz gäbe[3]. In der anglo-amerikanischen LIS Szene (Library and Information Science) gab es ebenfalls kritische Stimmen zu der inflationären „Erfindung“ neuer ‚literacies‘. So z.B. der (allerdings stets kritische) John Buschman, der darauf hinweist, dass allen diesen neuen Kompetenzforderungen zur ‚Alphabetisierung‘ von Kulturtechniken die kritische Reflexion innewohnt[4]. Continue reading

Die ‚Stimme der Hochschulen‘ fordert mehr Informationskompetenz – überall

Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) hat in ihrer Sitzung am 20.11.2012 ein Papier mit dem Titel: Hochschule im digitalen Zeitalter: Informationskompetenz neu begreifen – Prozesse anders steuern beschlossen, in dem sie eine bessere Implementation von Informationskompetenz an den Hochschulen fordert. (Interessanterweise ist das Papier „vorerst nur zur Verwendung innerhalb der HRK“).

Das Papier entstand unter dem Eindruck des KII Papiers zur Zukunft der Informationsinfrastruktur im Sommer letzten Jahres und bezieht sich explizit auf die entsprechenden Arbeitsgruppen und die Empfehlungen des Wissenschaftsrates. Es ist also außerordentlich zu begrüßen, dass die weitreichenden Empfehlungen des KII Papiers hier nun konkrete Konsequenzen nach sich ziehen – zumindest in der Diskussion innerhalb der offiziellen Vertretung der Hochschulen. Umsetzen müssen diese Empfehlungen natürlich die Länder und/oder die einzelnen in der HRK vertretenen Rektoren und Präsidenten der Hochschulen.

Was zunächst überrascht, ist die etwas anders gelagerte Zielrichtung der Diskussion um Informationskompetenz. Wurde bisher üblicherweise „nur“ die Informations- und Medienkompetenz der „Kunden“ betrachtet unter dem Tenor „es gibt mehr als Google“, so wird hier jetzt explizit „der Begriff […] gegenüber seiner herkömmlichen Verwendung deutlich ausgeweitet.“

Es bedarf nicht nur einer Harmonisierung des Informationsmanagements und der Informationsinfrastruktur, sondern integrativ auch der Stärkung der Informationskompetenz auf allen Ebenen der Organisation. […]

Es wird nicht nur die akademische Informationskompetenz betrachtet, die in Lehre und Forschung zum Tragen kommt, sondern auch die organisationsbezogene Informationskompetenz, die sich auf alle hochschulinternen Abläufe bezieht. (S.3)

Zielgruppen der Initiative wären die Studierenden, die Lehrenden, die Hochschulleitungen und die Informationsdienstleister in den Hochschulen wie die Bibliotheken und Rechenzentren. Auf allen Ebenen sollen Kompetenzen erweitert werden durch strukturelle Maßnahmen oder durch Training und Weiterbildung. Wobei die Kompetenzerweiterung bei den Dienstleistern auch gelesen werden kann als Erweiterung der Befugnis…) Immer wieder im Fokus der Überlegungen sind Fragen des Informations- und Wissensmanagements an Hochschulen. Argumentativer Ausgangspunkt sind Schlagworte aus dem letzten Jahrzehnt (man höre und staune): die Entwicklung in den „social media„, die Konsequenzen fordert im Sinne des „information life cycle“ Modells … nun, ja etwas verkürzt wiedergegeben. Hier das Zitat „im Kontext“

Auch die Forschung verändert sich grundsätzlich: Wissen wird in der Interaktion ständig neu produziert und muss im Modell des information life cycle neu begriffen werden. (S. 4-5)

Ich finde dieser Satz verdient eine längere Kontemplation…. lesen Sie ihn bitte noch einmal.

Schon an dieser Stelle veränderte sich meine wohlwollend neugierige Lektürehaltung. Ich hielt auf den folgenden ca. 15 Seiten Ausschau nach weiteren Schlagworten: und sie kamen auch: vom Controlling bis zu CIO und dem data librarian. Bei letzterem kann ich ja nichts sagen, da ich ihn mit in die deutsche Diskussion eingeführt habe 1. Besonders stutzig kann der geneigte Leser werden bei der Begriffsdefinition „Informationskompetenz“. Hier wird doch tatsächlich auf „unveröffentlichte Powerpoint Folien“ als Quelle verwiesen. Nichts gegen diesen indirekten Beitrag von Christian Wolff (Uni Regensburg) – es ist auch sehr folgerichtig, dass aufgrund dieser Begriffscharakterisierung vom engeren Medienkompetenzbegriff Abstand genommen wird. Für mich ist diese „informationskompetente“ Vorgehensweise in einem politischen Papier zu einem zentralen Thema der digitalen Gesellschaft eher ein Indiz dafür, dass sogar die Akteure weder die entsprechende Kompetenz haben noch sich Gedanken darüber machen (können), warum dies so ist. (Die in der Informationswissenschaft bekannte Selbstüberschätzung im Rahmen des information satisficing 2. Später wird auf die ALA Definition verwiesen und dann doch wieder auf Medienkompetenz.)

Bei den vorgeschlagenen Lösungswegen tauchen die Begriffe Netzwerk und Arbeitsgruppe besonders häufig auf. Was stets ein Zeichen dafür ist, dass man grundlegende Änderungen z.B. in den Ressourcen nicht in Erwägung zieht. Lobenswert ist die Forderung nach einer neuen Stefi-Studie wie ich es schon seit langem thematisiere.

Für mich entsteht vor allem deshalb die Frage, wer soll die geforderten Trainingskurse für Studierende, Dozenten, Rektoren, Forscher und Bibliothekare mit welchen Inhalten durchführen. Natürlich werden sich Bibliothekare finden, die entsprechend den vorhandenen Modellen der Informationskompetenzschulungen Kurse abhalten werden. Ich habe selber in meinem richtigen Leben (vor der Fachschullehrerposition) auch solche Kurse gegeben. Evaluiert man diese Art Kurse jedoch genauer, so kann man sehen, dass der in dem Papier geforderte erweiterte Kompetenzbegriff – bis hin zu Informationsverantwortung – dadurch nicht erreicht werden kann.

Dem Papier und der aktuellen Diskussion um den Wandel der Gesellschaft 3 fehlt die eigentliche Konsequenz. Um ein Themenfeld verändern zu können, muss man a) das Themenfeld genau kennen (z.B. mit einer Begriffsanalyse anhand von Powerpointfolien) und b) wissen, wie man das evtl. neue Themengebiet am besten jemandem vermitteln kann (z.B. durch Arbeitskreise und Trainingskurse im Computerlabor… oder?).

Mein Punkt ist: Weder eine fundierte informationswissenschaftliche Analyse dessen, was Informationskompetenz ist, liegt vor – und kann derzeit von der schwach besetzten, eher technologisch orientierten Informationswissenschaft nicht geleistet werden, noch haben wir einen irgendwie nennenswerten Ansatz einer Fachdidaktik. Hier hätte das Papier deutlicher darauf hinwirken sollen 4. Stattdessen wird ggf. entsprechende Entscheidungen an die informationskompetenten Hochschulleitungen delegiert – die man aber gerne vorher noch mit Informationsmanagement vertraut machen möchte.

 

  1. Pampel, Heinz; Bertelmann, Roland; Hobohm, Hans-Christoph (2010): „Data Librarianship“ – Rollen, Aufgaben, Kompetenzen. Berlin: Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten / BMBF (Working paper series des RatSWD, 144).
  2. Prabha, Chandra; Connaway, Lynn Silipigni; Olszewski, Lawrence; Jenkins, Lillie R. (2007): What is enough? Satisficing information needs. In: Journal of Documentation 63 (1), S. 74–89.
  3. vgl. zuletzt das sehr lesenswerte Büchlein: Bunz, Mercedes (2012): Die stille Revolution. Wie Algorithmen Wissen, Arbeit, Öffentlichkeit und Politik verändern, ohne dabei Lärm zu machen. Berlin: Suhrkamp.
  4. unter den genannten Beiträgern zu dem Papier finden sich leider äusserst wenige Informationswissenschaftler im engeren Sinn, sondern eher solche, die aus anderen Fachgebieten allgemeine Informationskompetenz selber erworben haben. Es sprechen wie so häufig notgedrungen Personen über die informationswissenschaftliche Themen, die gar keine Informationswissenschaftler sind.

Schulbibliotheken statt Bibliotheksgesetz!

An vielen Stellen wurde auf dem Bibliothekartag übereinstimmend thematisiert, dass ein wesentlicher Grund für die z.B. im Vergleich mit Vereinigten Staaten so andere Einstellung zu Bibliotheken von der in Deutschland dramatisch unbefriedigenden Situation im Bereich der Schulbibliotheken herrührt. Ist man von Kind auf gewöhnt, die Ressourcen der Bibliothek zu nutzen, hat man eben auch später stets den Reflex zuerst in die Public Library zu gehen. Daraus ziehen mittlerweile sogar Hochschulbibliotheken die Konsequenz: die UB Heidelberg macht Schülerarbeit und die Stadtbibliothek Frankfurt(M) lässt sich ihre sehr erfolgreich arbeitende „sba – schulbibliothekarische Arbeitsstelle“ durch das Schulamt finanzieren. Immer steht die strategische Überlegung im Vordergrund, die zukünftigen eigenen Nutzer der net-generation „abzuholen“ in die Bibliothekswelt.

Die Pädagogen teilen im Übrigen ihre Zeitrechnung in ante- und post-Pisa ein: Pisa scheint wirklich auch in der pädagogischen Praxis einiges bewirkt zu haben. Neben der Einführung der Ganztagsschule gehen z.B. die didaktischen Methoden weg von der reinen Input-Orientierung (Nürnberger Trichter des übervollen Lehrpläne) zu aktiven, selbstbestimmten Lernformen, die den Zugriff auf vielfältige Wissensressourcen voraussetzen. Hier reicht es natürlich eigentlich nicht, im Unterricht nur auf Wikipedia hinzuweisen. Aber dazu fehlt nicht nur die Bibliothek als Alternative, es fehlt auch den Lehrern die nötige Informationskompetenz. Gut zu wissen, dass z.B. in Hessen, Lehrer „Fortbildungspunkte“ sammeln müssen.

Wenn man also bedenkt, dass Gesetze letztlich vom Souverän – also dem Volk – entschieden werden, sollten wir zunächst eher in Weiterbildung von Lehrern und in Schulbibliotheken (bzw. Kita-Bibliotheken) investieren. Dann kommen die Gesetze schon von selbst… Oder?