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Erwarten Sie mehr von Bibliotheken!

so der Titel der soeben in deutscher Übersetzung erschienenen zweiten Auflage von David Lankes „Expect more. Demanding Better Libraries for Today’s Complex World„. Syracuse, NY 2016:

Frisch ausgepackt: David Lankes: „Expect More“ auf Deutsch

Lankes, R. David (2017): Erwarten Sie mehr. Verlangen Sie bessere Bibliotheken für eine komplexer gewordene Welt. Hrsg. und mit einem Vorwort von Hans-Christoph Hobohm. Aus dem Amerikanischen von Erdmute Lapp und Willi Bredemeier. Übers. von „Expect more“ 2. Aufl. 2016. Berlin: Simon Verlag für Bibliothekswissen (Reihe Bibliotheksforschung).

978-3-9456-10-32-9, 175. Seiten, – 19,50 €

Ich freue mich, dass wir es geschafft haben, eine dem amerikanischen Original sehr entsprechende deutsche Ausgabe an die Seite stellen zu können. So verbreitet sich die Idee von David Lankes, dass Bibliotheken eher

Die Aufgabe von Bibliothekaren … (die alte Werbepostkarte des Studiengangs Bibliotheksmanagement der FH Potsdam)

der „Verbesserung der Gesellschaft durch die Förderung der Erschaffung von Wissen in der Community“ dienen sollten, als bloße Bücherhorte zu sein.

Schon die Übersetzung des Mantras von David Lankes zeigt, welche Sisyphus-Aufgabe die Übertragung des ganzen Buches ins Deutsche war. Auch der Titel selbst bereitete nicht wenige Schwierigkeiten: lassen wir es bei einer deutsch-bürokratischen Forderung oder übernehmen wir die liberal-amerikanische Haltung einer pro-aktiven Erwartung? Zugegeben: eine regelrechte ‚Lokalisierung‘ in deutsche Verhältnisse ist es nicht geworden. Dazu bleibt zu viel amerikanischer Originalton, der die Gefahr birgt, dass gesagt wird, es sei ja bloß typisch amerikanisch und funktioniere so nicht bei uns. Dennoch hatte ich mich entschieden, eher die korrekte Übersetzung herauszugeben als eine komplett angepasste Übertragung, da die Argumente so auch noch viel authentischer wirken. Zeigt Lankes doch, dass selbst in den USA (und an vielen anderen Orten der Welt)  Bibliotheken in dem von ihm beschriebenen Sinn wirken!

Weitere Erläuterungen, warum gerade dieses Buch so notwendig eine Übersetzung brauchte, gebe ich in meinem Vorwort: Continue reading

Mit der „Werkstatt“ bei Netzpolitik.org

Website des Blogs Netzpolitik

Website des Blogs Netzpolitik

Seit diesem Semester gibt es eine didaktische Neuerung im Curriculum unserer drei Bachelor-Studiengänge: gleich zu Beginn gibt es die Seminarform „Werkstatt“. Hier sind die Erstsemester gefordert, sich einem informationswissenschaftlichen Thema in großen Zügen selbstständig und forschend zu nähern: in meist studiengangübergreifenden Gruppen von ca 15 Personen unterstützt von einem Prof und einem Tutor, aber doch in großen Zügen im Modus des (er)forschenden Lernens.

Das Thema der ersten Werkstatt, die ich z.Zt. anbiete und begleitete ist „Informationsflüsse und Informationsorte für Studierende in der FH und in Potsdam“. Neben einer Befragung von Kommilitonen und einzelnen konkreten Projektideen begibt sich die Werkstatt auch auf Exkursion zu wichtigen Orten, an denen Information fließt. Gestern waren wir bei Markus Beckedahl und Netzpolitik.org – in einem Berliner Hinterhof und in der fünften Etage ohne Aufzug.

Werkstattgruppe vor dem Aufgang zu Netzpolitik.org

Werkstattgruppe vor dem Aufgang zu Netzpolitik.org

Dank unserer Tutorin Anna Lehman war es möglich, einen Gesprächstermin bei dieser ja in den aktuellen Zeiten so beschäftigten Redaktion und sogar mit Markus Beckedahl persönlich zu arrangieren. Die Studierenden hatten eine Reihe von Fragen vorbereitet und ließen auch nicht locker, wenn die Antworten nicht dem entsprachen, was sie sich vorgestellt hatten.

Es wurde jedoch schnell deutlich, wie sehr die Digitalisierung mittlerweile ins Zentrum des Lebens und der Politik gerückt ist. Markus Beckedahl berichtete von den Anfängen seines Blogs und wie sehr mittlerweile aus allem Bereichen des gesellschaftlichen Lebens Informationen im Redaktionsbüro in der Sonnenallee täglich zusammenfließen: von Whistleblowern über Fernsehteams bis hin zu „Verwirrten“ – alles liefert Informationen und will Informationen und Aktionen von diesem Ort der virtuellen und digitalen Kommunikation. Wichtiges Thema war auch, was jeder einzelne in der Informations- und Datenflut vor allem auch zur eigenen Datenintegrität und zu seinem Schutz tun kann: als Rezept nannte er „Datensparsamkeit“ – und vielleicht mal eher Opensource Tools wie OSM oder Metager statt Google zu nutzen. Continue reading

Interview zur digitalen Lage (10. IT Gipfel, diverse „Strategiepapiere“, Wahlen etc.)

UdL DigitalPassend zur aktuellen Diskussion um die Auswirkungen der Digitalen Transformation auf die urban/rural-Spaltung habe ich ein längeres Interview gegeben für „Unter den Linden Digital„, das Digital Public Affairs Blog der Telefonica Deutschland.

Das Interview fand vor den US-Wahlen statt. Sonst hätte ich wahrscheinlich viel drastischer formuliert. Konkreter Anlass war der 10. Nationale IT Gipfel, der in den nächsten Tagen in Saarbrücken stattfindet sowie die Initiative der Bundesbildungsministerin Prof. Wanka zu einem „DigitalPakt#D“. Ein weiterer Anknüpfungspunkt, der sich leider auch erst nach dem Interview ergab ist die Digital-Strategie des Landes Brandenburg, die gestern im Brandenburgischen Landtag verabschiedet wurde. Zu der ich ähnlich wie in dem Interview Stellung nehmen würde.

Der Landtag stellt fest: Die Digitalisierung verändert unsere ganze Gesellschaft ….

Hier die ursprüngliche Fassung des Interviews (im Prinzip LOCKSS). Besser gestaltet und weiter bearbeitet ist jedoch die veröffentlichte Fassung.

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Innovators Club des DStGB

Der Deutsche Städte und Gemeindebund unterhält einer Art vernetzten Thinktank, den Innovators Club, der sich mit Fragen der Innovation in Städten auseinandersetzt. Seit unserer Konferenz „Stadt der Ströme“ habe ich die Ehre, ab und zu zum Thema „Bibliotheken als urbaner Entwicklungsmotor“ dort beizutragen. Gestern gab es eine illustre Runde, bei der zum ersten Mal auch eine Reihe weiterer Vertreter der Bibliothekswelt anwesend waren: das Rundgespräch: „Neue Bibliotheken braucht das Land“.

Mit einer interessanten Moderationsform „Magic Roundtable“ wurde vor allem darüber diskutiert, welche Rolle Bibliotheken in der neuen städtischen Gesellschaft haben werden: sind sie Interaktionstreiber, Teil der share economy, urban catalyst, Problemlöser für Kommunen, Koordinator für weiche Faktoren? So die Stichworte der Teilnehmer in der Diskussion.

Die (nicht sehr zahlreich anwesende) Politik machte vehement deutlich, dass „Setzungen von oben“ nicht funktionieren. Bibliotheken müssen selber ihr „verführendes Element“ demonstrieren und zum Frequenzbringer werden, ohne dass die Politik dies verordnet. Interessanterweise sagte das der Bürgermeister der Stadt Bensheim dessen Stadtbibliothek den Hessischen Bibliothekspreis gewann. Er hätte ja nichts verordnet…. – bei genauerem Nachfragen stellt man jedoch fest, dass in Bensheim mit einem managementorientierten Bürgermeister das 1×1 der Verwaltungsreform umgesetzt (verordnet) wurde: die Bibliothek wurde vor wenigen Jahren Eigenbetrieb (also eigenverantwortlich und unabhängiger) und die Stadt entwickelte ein übergreifendes Führungsmotto (eine mission) als „Vernetzte Stadt“. Klar, dass auf einem solchen Boden die Bibliothek sich entfalten kann. Ganz im Sinne von David Lankes vernetzte sie sich in der Tat und arbeitet erfolgreich für die Stadtcommunity als Ganzes. Eigenartigerweise wollten die anwesenden Politiker nicht verstehen (bzw. akzeptieren), dass dies genau ihr Part ist, um „neue Bibliotheken“ zu ermöglichen – statt sie kaputt zu sparen.

Den Bibliotheken vorzuwerfen, sie seien ewig gestrig und würden sich nicht bewegen ist vor diesem Hintergrund ein starkes Stück. M.E. sind es die Städte (bzw. Träger allgemein), die mehr über den Tellerrand schauen sollten in Richtung Nachhaltigkeit und Strategie – ganz im Sinne des Neuen Steurungsmodells der 1990er Jahre….

Die ‚Stimme der Hochschulen‘ fordert mehr Informationskompetenz – überall

Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) hat in ihrer Sitzung am 20.11.2012 ein Papier mit dem Titel: Hochschule im digitalen Zeitalter: Informationskompetenz neu begreifen – Prozesse anders steuern beschlossen, in dem sie eine bessere Implementation von Informationskompetenz an den Hochschulen fordert. (Interessanterweise ist das Papier „vorerst nur zur Verwendung innerhalb der HRK“).

Das Papier entstand unter dem Eindruck des KII Papiers zur Zukunft der Informationsinfrastruktur im Sommer letzten Jahres und bezieht sich explizit auf die entsprechenden Arbeitsgruppen und die Empfehlungen des Wissenschaftsrates. Es ist also außerordentlich zu begrüßen, dass die weitreichenden Empfehlungen des KII Papiers hier nun konkrete Konsequenzen nach sich ziehen – zumindest in der Diskussion innerhalb der offiziellen Vertretung der Hochschulen. Umsetzen müssen diese Empfehlungen natürlich die Länder und/oder die einzelnen in der HRK vertretenen Rektoren und Präsidenten der Hochschulen.

Was zunächst überrascht, ist die etwas anders gelagerte Zielrichtung der Diskussion um Informationskompetenz. Wurde bisher üblicherweise „nur“ die Informations- und Medienkompetenz der „Kunden“ betrachtet unter dem Tenor „es gibt mehr als Google“, so wird hier jetzt explizit „der Begriff […] gegenüber seiner herkömmlichen Verwendung deutlich ausgeweitet.“

Es bedarf nicht nur einer Harmonisierung des Informationsmanagements und der Informationsinfrastruktur, sondern integrativ auch der Stärkung der Informationskompetenz auf allen Ebenen der Organisation. […]

Es wird nicht nur die akademische Informationskompetenz betrachtet, die in Lehre und Forschung zum Tragen kommt, sondern auch die organisationsbezogene Informationskompetenz, die sich auf alle hochschulinternen Abläufe bezieht. (S.3)

Zielgruppen der Initiative wären die Studierenden, die Lehrenden, die Hochschulleitungen und die Informationsdienstleister in den Hochschulen wie die Bibliotheken und Rechenzentren. Auf allen Ebenen sollen Kompetenzen erweitert werden durch strukturelle Maßnahmen oder durch Training und Weiterbildung. Wobei die Kompetenzerweiterung bei den Dienstleistern auch gelesen werden kann als Erweiterung der Befugnis…) Immer wieder im Fokus der Überlegungen sind Fragen des Informations- und Wissensmanagements an Hochschulen. Argumentativer Ausgangspunkt sind Schlagworte aus dem letzten Jahrzehnt (man höre und staune): die Entwicklung in den „social media„, die Konsequenzen fordert im Sinne des „information life cycle“ Modells … nun, ja etwas verkürzt wiedergegeben. Hier das Zitat „im Kontext“

Auch die Forschung verändert sich grundsätzlich: Wissen wird in der Interaktion ständig neu produziert und muss im Modell des information life cycle neu begriffen werden. (S. 4-5)

Ich finde dieser Satz verdient eine längere Kontemplation…. lesen Sie ihn bitte noch einmal.

Schon an dieser Stelle veränderte sich meine wohlwollend neugierige Lektürehaltung. Ich hielt auf den folgenden ca. 15 Seiten Ausschau nach weiteren Schlagworten: und sie kamen auch: vom Controlling bis zu CIO und dem data librarian. Bei letzterem kann ich ja nichts sagen, da ich ihn mit in die deutsche Diskussion eingeführt habe 1. Besonders stutzig kann der geneigte Leser werden bei der Begriffsdefinition „Informationskompetenz“. Hier wird doch tatsächlich auf „unveröffentlichte Powerpoint Folien“ als Quelle verwiesen. Nichts gegen diesen indirekten Beitrag von Christian Wolff (Uni Regensburg) – es ist auch sehr folgerichtig, dass aufgrund dieser Begriffscharakterisierung vom engeren Medienkompetenzbegriff Abstand genommen wird. Für mich ist diese „informationskompetente“ Vorgehensweise in einem politischen Papier zu einem zentralen Thema der digitalen Gesellschaft eher ein Indiz dafür, dass sogar die Akteure weder die entsprechende Kompetenz haben noch sich Gedanken darüber machen (können), warum dies so ist. (Die in der Informationswissenschaft bekannte Selbstüberschätzung im Rahmen des information satisficing 2. Später wird auf die ALA Definition verwiesen und dann doch wieder auf Medienkompetenz.)

Bei den vorgeschlagenen Lösungswegen tauchen die Begriffe Netzwerk und Arbeitsgruppe besonders häufig auf. Was stets ein Zeichen dafür ist, dass man grundlegende Änderungen z.B. in den Ressourcen nicht in Erwägung zieht. Lobenswert ist die Forderung nach einer neuen Stefi-Studie wie ich es schon seit langem thematisiere.

Für mich entsteht vor allem deshalb die Frage, wer soll die geforderten Trainingskurse für Studierende, Dozenten, Rektoren, Forscher und Bibliothekare mit welchen Inhalten durchführen. Natürlich werden sich Bibliothekare finden, die entsprechend den vorhandenen Modellen der Informationskompetenzschulungen Kurse abhalten werden. Ich habe selber in meinem richtigen Leben (vor der Fachschullehrerposition) auch solche Kurse gegeben. Evaluiert man diese Art Kurse jedoch genauer, so kann man sehen, dass der in dem Papier geforderte erweiterte Kompetenzbegriff – bis hin zu Informationsverantwortung – dadurch nicht erreicht werden kann.

Dem Papier und der aktuellen Diskussion um den Wandel der Gesellschaft 3 fehlt die eigentliche Konsequenz. Um ein Themenfeld verändern zu können, muss man a) das Themenfeld genau kennen (z.B. mit einer Begriffsanalyse anhand von Powerpointfolien) und b) wissen, wie man das evtl. neue Themengebiet am besten jemandem vermitteln kann (z.B. durch Arbeitskreise und Trainingskurse im Computerlabor… oder?).

Mein Punkt ist: Weder eine fundierte informationswissenschaftliche Analyse dessen, was Informationskompetenz ist, liegt vor – und kann derzeit von der schwach besetzten, eher technologisch orientierten Informationswissenschaft nicht geleistet werden, noch haben wir einen irgendwie nennenswerten Ansatz einer Fachdidaktik. Hier hätte das Papier deutlicher darauf hinwirken sollen 4. Stattdessen wird ggf. entsprechende Entscheidungen an die informationskompetenten Hochschulleitungen delegiert – die man aber gerne vorher noch mit Informationsmanagement vertraut machen möchte.

 

  1. Pampel, Heinz; Bertelmann, Roland; Hobohm, Hans-Christoph (2010): „Data Librarianship“ – Rollen, Aufgaben, Kompetenzen. Berlin: Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten / BMBF (Working paper series des RatSWD, 144).
  2. Prabha, Chandra; Connaway, Lynn Silipigni; Olszewski, Lawrence; Jenkins, Lillie R. (2007): What is enough? Satisficing information needs. In: Journal of Documentation 63 (1), S. 74–89.
  3. vgl. zuletzt das sehr lesenswerte Büchlein: Bunz, Mercedes (2012): Die stille Revolution. Wie Algorithmen Wissen, Arbeit, Öffentlichkeit und Politik verändern, ohne dabei Lärm zu machen. Berlin: Suhrkamp.
  4. unter den genannten Beiträgern zu dem Papier finden sich leider äusserst wenige Informationswissenschaftler im engeren Sinn, sondern eher solche, die aus anderen Fachgebieten allgemeine Informationskompetenz selber erworben haben. Es sprechen wie so häufig notgedrungen Personen über die informationswissenschaftliche Themen, die gar keine Informationswissenschaftler sind.