Tag Archives: Paradigma

Next Library Science (Themenschwerpunkt in BFP)

Für das soeben erschienene Heft 42 (2018) Nr. 2 der Zeitschrift „BIBLIOTHEK. Forschung und Praxis“ hatte ich die Gelegenheit, einen Themenschwerpunkt zum Stellenwert einer erneuerten Bibliothekswissenschaft herauszugeben unter dem Motto „Next Library Science“ (leider im Heft falsch abgedruckt) (ab Seite 333).

Ausgangspunkt war selbstredend David Lankes „New Librarianship“. Allerdings stellte sich auch in Vorbereitung der Next Library Conference hier in Berlin heraus, dass es viele ähnliche „moderne“ Ansätze einer Bibliothekswissenschaft gibt, die wenig oder nichts voneinander wissen. Bis auf Markus Krajewski und Thomas Stäcker konnten alle eingeladenen Autoren zum gewünschten (recht knappen) Redaktionsschluss liefern, so dass ich finde, dass ein interessanter Themenschwerpunkt entstanden ist. Besonders spannend wird es, wenn man wie ich als Herausgeber alle Artikel parallel liest. Die jeweils einzelnen Positionen sind sicher unabhängig voneinander bekannt, aber wenn man die Argumente und Formulierungen des einen Textes unter anderer Prämisse im nächsten Text fast identisch wiederfindet, so ergibt sich ein gänzlich neues Bild einer Bibliothekswissenschaft.

Zunächst stand die Frage im Raum, ob es einer Erneuerung der Bibliothekswissenschaft bedarf. Die Autoren greifen die Frage im Titel ihrer Artikel auf – beantworten sie jedoch stets mit „ja“ und geben meist auch sehr konkrete Hinweise auf curriculare Notwendigkeiten, die sich in den letzten Jahren für die Ausbildung für Bibliotheken ergeben haben.  Nicht englischsprachige Texte wurden speziell für diese Ausgabe übersetzt.

Ich möchte den beteiligten Autoren und Übersetzern an dieser Stelle nochmals herzlich für die Mitarbeit danken.

Die noch unlektorierten Preprints sind frei zugänglich auf dem edoc-Server der HU. (Ich empfehle allerdings bei einer Weiterverwendung dringend die eigentliche Ausgabe der Zeitschrift zu verwenden. In den unlektorierten Preprint-Versionen sind einzelne Fehler noch nicht bereinigt.)

Hans-Christoph Hobohm (Potsdam): Warum brauchen wir eine (neue) Bibliothekswissenschaft? Editorial, In: BIBLIOTHEK 42 (2018) Nr. 2, S. 333–337.

Zusammenfassung: Die Medienschwelle, an der wir uns befinden, stellt viele Institutionen infrage. Nicht aber die Bibliothek, wie viele äußerst erfolgreiche neue Bibliotheksprojekte (ÖB und WB) belegen. Der Themenschwerpunkt lässt (auch anlässlich der Next Library Conference in Berlin im September 2018) unterschiedliche Wissenschaftler zu Wort kommen, die dafür plädieren, sich auch wissenschaftlich mit dem Phänomen Bibliothek (wieder) zu befassen, um besser zu verstehen, wie ihre Potentiale den digitalen Wandel positiv begleiten können.

Schlüsselwörter: Bibliothekswissenschaft; Erneuerung; Dataismus; Wissen; soziale Erkenntnistheorie Continue reading

Embodied Cognition in Design Thinking und Informationswissenschaft

Komponenten des Design Thinking

Zum Jubiläum der Potsdam School of Design Thinking gab es verschiedene Berichte in der Presse. U.a. ein schönes Interview mit Ulrich Weinberg, dem Leiter der D-School mit dem Titel „Mit den Händen Denken“ (PNN, 21. Sept. 2012). Hier sieht man einmal wieder was Blaise Cronin unlängst in einem pointierten Artikel über den Zustand der Informationswissenschaft geschrieben hat 1.  Informationswissenschaftliche Ansätze sind mittlerweile überall anzutreffen und es ist kaum noch zu unterscheiden, ob es sich um einen Import oder einen Export derselben handelt. Tragischerweise sind die anderen Disziplinen meist „mächtiger“, so dass in der Tat unsere Disziplin aus dem Fokus gerät. Oder aber es gibt „mainstreamige“ Entwicklungen, die die Informationswissenschaft analog zu anderen Disziplinen aufnimmt, wie etwas den Spatial Turn oder die Netzwerktheorie (etwa mit Bruno Latours ANT). Exemplarisches Beispiel dafür eben der methodische Ansatz des Design Thinking, das explizit auf Erkenntnisse der „Embodied Cognition“ aufbaut 2. Harald Reiterer und sein Team hat schön demonstriert, dass dies auch für die Informationswissenschaft, bzw. die von ihr entwickelten Systeme gelten kann 3. In unserem Masterstudiengang Informationswissenschaften versuche ich in dem Track Wissenstransfer ebenfalls solche Ansätze mit aufzunehmen – zugegeben auf einem anderen Niveau als das HPI ;-( . Die multidisziplinären Teams (s. Grafik zu den Komponenten des Design Thinking oben4 ) sind hier inhärent gegeben durch die verschiedenen Berufsfelder (ABD + M) unserer Studierenden, die Thematik der Räumlichkeiten ist Thema durch den Ansatz der dritten Generation des Wissensmanagements („ba“ von Nonaka/Takeuchi) und der Design Thinking Process taucht mit der Transferwissenschaft ebenfalls implizit wieder auf. In der Beschreibung des Design Thinking wird allerdings kein Bezug auf die Informationswissenschaft genommen.

  1. Cronin, Blaise: „The waxing and waning of a field: reflections on information studies education“ Information Research, 17(2012),3 paper 529. Available at http://InformationR.net/ir/17-3/paper529.html
  2. Dourish, Paul: Where the action is : The foundations of embodied interaction. Cambridge, Mass : MIT Press, 2001.
  3. Heilig, Mathias ; Demarmels, Mischa ; Huber, Stephan ; Reiterer, Harald: Blended Library : Neue Interaktionsformen für die Bibliothek der Zukunft. In: i-com 9 (2010), Nr. 01, S. 46-57.
  4. http://www.hpi.uni-potsdam.de/d_school/designthinking/komponenten.html

Podiumsdiskussion zur Zukunft der Informationswissenschaft

Podiumsdiskussion Zukunft der Informationswissenschaft

auf der DGI Konferenz in Düsseldorf 23. März 2012.

Teilnehmer waren (auf dem Bild von rechts nach links) Prof. Dr. Stefan Gradmann, Prof. Hobohm, Marlies Ockenfeld, Dr. Willi Bredemeier, Prof. Dr. Christian Schlögl. Angekündigt aber nicht erschienen waren Prof. Dr. York Sure-Vetter (GESIS) und Ben Kaden. Moderiert wurde von Prof. Dr. Wolfgang Stock (ganz links auf dem Bild).

Als Anlass wurde u.a. auch auf Potsdam verweisen:

Es geht in diesem Panel darum, den aktuellen Stand der Informationswissenschaft in Forschung und Lehre sowie das Zusammenspiel von Informations- Bibliotheks-, Dokumentationswissenschaft in interdisziplinären Umgebungen von Informatik bis Geisteswissenschaften zu diskutieren und ggf. zukunftsweisende Trends zu skizzieren. Auch die Interaktion von informationswissenschaftlicher Forschung und Informationspraxis soll dabei angesprochen werden.

Der Bedarf zu einem entsprechenden Diskussions-Panel beruhte insbesondere auf drei aktuellen Ereignissen/Entwicklungen:

a) Schließung des Studiengangs „Information und Dokumentation“ an der FH Potsdam

b) Gründung neuer Studiengänge bzw. Forschungsschwerpunkte im Bereich „Web Science“.

c) Kritik am wissenschaftlichen Diskurs in der informationswissenschaftlichen Fachcommunity, u.a. bezogen auf die Qualität der Beiträge der ISI-Tagungsreihe.

Mein Vorabstatement war folgendes:

• „Information und Dokumentation ist nur praxisrelevant als eine Informations- und Dokument-wissenschaft, die über Shannon und Turing hinausgeht.“
• „Die Informationswissenschaft muss als Sozialwissenschaft wie diese eine Hinwendung zum Raum und zum praktischen Handeln vollziehen („spatial turn“ & „practice turn“).“

Die Podiumsdiskussion existiert als Videomitschnitt. Dieser Blogbeitrag gibt eine hilfreiche Zusammefassung.

Einiges, was auf dem Podium gesagt wurde, hatte ich auch schon hier gepostet. Antworten auf die Fragen wurde auch von dem Delphi-Orakel der versammelten Podiumsteilnehmer nicht gegeben. Lediglich Punkt a) auf der Einladung:“Schließung des Studiengangs“ wurde von Kollegen Büttner sehr vehement dementiert. Als Quintessenz bliebt für mich die Frage/Aufforderung, die informationswissenschaftliche Lehre zu erneuern… – bzw. sich in dieser auch an seine Wurzeln zu erinnern (die eigene Wissensbasis).

IuD Neuauflage? Dokumentare vor der Wende

Auf einem Workshop bei der GESIS hatte ich am Freitag (17.5.) und Montag (19.5.) die Gelegenheit über neuere Entwicklungen und Tendenzen in der Informationswissenschaft zu sprechen, speziell über den Kernbereich IuD/Retrieval/Informationsvermittlung. Es war deshalb so spannend, weil die Dokumentare des IZ Sozialwissenschaften und die dort forschenden Informationswissenschaftler ja unlängst von der BLK zur Speerspitze der informationswissenschaftlichen Entwicklung erhoben wurden (Arbeitsgruppe ‚Zukunft der Fachinformation‘).

Marc Rittberger und Christa Womser-Hacker waren die beiden anderen Referenten, die insgesamt ein sehr differenziertes Bild von „Fachinformation aktuell“ zeichneten. Marc Rittberger stellte die integrativen Dienstleistungen des IZ Bildung vor und Christa Womer-Hacker berichtete über die aktuellen Entwicklungen in der klassischen Retrieval Forschung. Mein Hauptthema war die von Ingwersen und Järvelin postulierte Wende in der Retrieval Forschung und der Neuansatz von Informationsverhaltensforschung, der sich in den letzten 15 Jahren herausgebildet hat:

Kombiniert mit der 2.0-Debatte, den Technologie-Hypes und einigen klassischen Erkenntnissen der Informationswissenschaft ergibt sich zunächst für mich ein erstes Bild einer gänzlich anderen Ausrichtung von Informationsarbeit generell. Wie diese konkret aussehen soll, kann ich allerdings auch noch nicht sagen: ich weiß nur, dass die Informationsnutzer, für die Dokumentare produzieren, auch schon (wo)anders sind. Und die Fachinformation muss diesen neuen Geschäftsmodellen folgen und nicht nur weiter an nutzerfernen Informationssystemen basteln.

Was ich vor Jahren im Bibliotheksbereich mit eingeführt habe – nämlich einmal über Dienstleistungsqualität nachzudenken – scheint im IuD-Bereich noch nicht sehr angekommen zu sein. Es gab im Auditorium Erstaunen darüber, dass der Nutzer bstimmt, was er für Qualität hält, selbst wenn die gelieferte Information schlecht oder falsch ist. Unsere tägliche Erfahrung mit Google zeigt es uns aber täglich am eigenen Leib, wie schnell wir mit Information zufrieden sind.