Author Archives: Hans-Christoph Hobohm

About Hans-Christoph Hobohm

Professor für Bibliothekswissenschaft am Fachbereich Informationswissenschaften der Fachhochschule Potsdam / professor for Library and Information Science at Potsdam University of Applied Sciences since 1995

Die Informationsgesellschaft beruht auf einer fehlgeleiteten Konzeption von Sprache

Rezension von:

Schüller-Zwierlein, André: Die Fragilität des Zugangs. Eine Kritik der Informationsgesellschaft. Berlin: de Gruyter, 2022. (Age of Access? Grundfragen der Informationsgesellschaft; 14) – XIV + 436 S. – ISBN 978-3-11-073927-5 – 15,5 x 23 cm – 768 g – 109,95 Euro.

Parallel erschienen bei Open Password am 18. Mai 2022 #1072

Als letzten Band der fulminanten Reihe „Age of Access – Grundfragen der Informationsgesellschaft“ legt ein Herausgeber der Reihe, der Regensburger Bibliotheksdirektor André Schüller-Zwierlein, sein eigenes umfangreiches Statement vor. Es ist eine ziemlich fundamentale „Kritik der Informationsgesellschaft“ (so der Untertitel) geworden. Die Reihe hatte 2013 schon mit einem Paukenschlag (Schüller-Zwierlein/Zillien (Hg.): „Informationsgerechtigkeit“) begonnen und endet nun mit Band 14 mit einem Donnergrollen. Noch nicht alle Bände der Reihe sind erschienen: als letzter mit der Nummer 12: Rainer Kuhlens „Transformation der Informationsmärkte“ (2020). Leider ist in den Bänden der Reihe keine Gesamtübersicht abgedruckt und nicht alle sind „Open Access“, obwohl genau das häufig thematisiert wird.

Der hier zu empfehlende Band thematisiert genau das: die „Fragilität des Zugangs“, allerdings aus einer augurischen Höhenflugperspektive, so dass ihm die (angesichts des Preises) mangelnde ökonomische Zugänglichkeit nachgesehen werden kann. Es bleibt zu wünschen, dass möglichst viele Bibliotheken den physischen Zugang ermöglichen. Der intellektuelle Zugang zu diesem Buch ist eine Herausforderung, die der Autor implizit selber immer wieder betont. Nicht nur, dass für die Lektüre u.a. Französisch- und (Alt)Griechisch-Kenntnisse wünschenswert wären, sondern vor allem aufgrund der Tatsache, dass die/der Leser:in sich einlassen muss auf eine tiefgründige Erörterung menschlichen Daseins, die im Dialog mit und sekundiert von einer Reihe der bedeutendsten Philosophen der Geistesgeschichte eine heftige Attacke gegen die Informationsgesellschaft fährt. Es bleibt nicht auf der Ebene des allgemeinen Diskurses von Kapitalismuskritik à la Castells oder Zuboff oder bei den inzwischen verhallten politischen Mahnungen des Jahres 2015 wie Floridis „Onlife Manifesto“ oder Helbings und Gigerenzers (u.a.) „Digital Manifest“. Continue reading

Welttag des Buches

Was es nicht alles für „Welttage“ gibt. Dieses Awareness-Instrument nutzt sich langsam ab. Unlängst machte die Potsdamer Bibliotheksgesellschaft genau auf dieses Phänomen aufmerksam mit einer Liste bibliotheksbezogener Jahrestage (im Zusammenhang mit deren Projekt eines immerwährenden Kalenders).

Korrekterweise heißt der Welttag des Buches eigentlich: „Welttag des Buches und des Urheberrechts“. Dennoch gibt dieser Tag Anlass, einmal daran zu erinnern, dass tatsächlich das Buch als eigenständige Medienform der Moderne einen Platz im kulturellen Bewusstsein behalten sollte. Das Lexikon der Gesamten Buchwesens (LGB2, s. Bild oben) wurde ja in einer verkürzten Neufassung zum Lexikon der Bibliotheks und Informationswissenschaft (LBI). Der Verleger Hiersemann höchstpersönlich hatte Herrn Umlauf und mich als Herausgeber vor allem auch „geködert“, weil er sagte, man könne doch viele Lemmata aus dem noch in der laufenden Publikation der letzten Bände befindliche LGB2 nutzen. Wir entschieden uns jedoch vollkommen dagegen und entwickelten eine völlig neue Liste von Lemmata und diese wurden von den Autoren auch in den allermeisten Fällen komplett ohne Rekurs auf das LGB2 redigiert. Continue reading

Information. A Historical Companion

Ebenfalls gerade erschienen: eine weitere Rezension von mir. Leider nicht OA.

Ann Blair (Harvard), Paul Duguid (Berkeley), Anja-Silvia Goeing (Harvard/Zürich) und Anthony Grafton (Princeton) haben ein wirklich voluminöses Werk in Form eines enzyklopädischen Lexikons mit einem ersten Teil mit chronologisch geordneten Langbeiträgen vorgelegt, das mit einiger Wahrscheinlichkeit zu einem Standardnachschlagewerk werden wird. Die beteiligten Autoren und die Herausgeber kommen alle aus dem eher geschichtswissenschaftlichen Bereich und setzen eine Brille auf, die Informationswissenschaftlern sicher teilweise etwas fremd ist. Neben einigen bekannten Archivwissenschaftlern wie Eric Ketelaar trifft man nur mit Paul Duguid und Michael Buckland auf Namen, die in unserer Disziplin bekannt sind.

Ich halte aber diese etwas andere, interdisziplinäre Sicht auf Information für außerordentlich fruchtbar und empfehle das Buch in meiner Rezension. Es hat mich u.a. ja auch dazu angeregt, ein entsprechendes Vertiefungsseminar im Rahmen meiner Seniorprofessur an der Humboldt-Universität zu Berlin anzubieten.

Hobohm, Hans-Christoph. „Information. A Historical Companion: Blair, Ann; Duguid, Paul; Goeing, Anja-Silvia; Grafton, Anthony (Hrsg.). – Princeton and Oxford: Princeton University Press, 2021. xx+881 S.; 25,4×17,5 cm; 1800 g; ISBN 978-0-691-17954-4 (hardb), ISBN 978-0-691-20974-6 (ebook); USD 65,00″
In: Information – Wissenschaft & Praxis, vol. 73, no. 2-3, 2022, pp. 128-130. https://doi.org/10.1515/iwp-2021-2198

Informations- und Bibliotheksethik

Gerade in dem Moment, als ich mal wieder eine Bachelorarbeit zu einem bibliotheksethischen Thema prüfe, erhalte ich die Meldung, dass meine Rezension zu diesem neuen Standardwerk erschienen ist in Bibliothek. Forschung und Praxis.

Man kann meiner etwas ausführlichen Rezension anmerken, dass ich das Buch mit Vergnügen in Gänze gelesen habe. Ich hatte ja auch schon vor einigen Semestern die Gelegenheit, zusammen mit Hermann Rösch eine Bachelorarbeit zu betreuen und viel von ihm gelernt.

Ich teile vor allem auch seine Einschätzung zum Stand der Diskussion zu ethischen Fragen in unserer Profession in Deutschland. Auch ich habe ja während meiner langen Zeit als IFLA officer die eher zwiespältige Erfahrung gemacht, mit anderen Augen von außen auf unser Land zu schauen.

Besonders interessant fand ich an dem Buch von Hermann Rösch, dass er einen wichtigen Bezugspunkt bei den fünf Bibliotheksgesetzen von Ranganathan und ihrer Neuinterpretation durch Michael Gorman findet. Ich hatte in meinen Vorlesungen stets das Gefühl, hier zu exotisch zu werden.

An Michael Gorman erinnere ich mich persönlich mit gemischten Gefühlen, weil er anläßlich seines Keynote Vortrags 2003 an der FH Potsdam auf der IFLA Satelliten-Konferenz von EUCLID den iSchools die Leviten las und davor warnte, das „L“-Wort aus den Studiengängen und Namen der Departments zu streichen – was wir in Potsdam ja gerade kurz zuvor auch getan hatten. Mit seinem „Our Endring Values Revisited“ (2015) hat er das dann ja noch mal eindringlich wiederholt und Recht behalten mit dem Statement, dass die Sorge (Stewardship) um „The Greater Common Good“ (das Gemeinwohl) der zentrale ethische Wert für Bibliotheken ist.

Mehr hierzu im Open Access:

Hobohm, Hans-Christoph. “ Hermann Rösch: Informationsethik und Bibliotheksethik. Grundlagen und Praxis. Berlin, Boston: De Gruyter Saur, 2021 (Bibliotheks- und Informationspraxis: 68). XVI + 584 S., 10 Tabellen. ISBN 978-3-11-051959-4, 69,95 €“ Bibliothek Forschung und Praxis, vol. 46, no. 1, 2022, pp. 239-241. https://doi.org/10.1515/bfp-2022-0003

Seniorprof

Obwohl ich ja schon ziemlich lange am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft (IBI) im Fernstudium unterrichte, ist es doch ein neues Gefühl, seit heute dort im regulären Betrieb dabei zu sein. Ich weiß zwar noch nicht ganz genau, was eine „Seniorprofessur“ bedeutet (den Vertrag habe ich letzte Woche unterschrieben), aber die Vorfreude ist dennoch groß, endlich mal wieder „klassische“ universitäre Lehre machen zu dürfen. Mir hat Lehre immer recht viel Spaß gemacht, z.B. an der Uni Köln oder in Stuttgart. Ich hatte zwar auch schon früh Lehraufträge an der FH Köln, aber die 18 SWS dann später an der FHP waren dann doch etwas anderes.

Für das Sommersemester habe ich die Gelegenheit, ein Seminar im Vertiefungsbereich anbieten zu können. Ich habe dabei die Beobachtung aufgegriffen, dass in der Informationswissenschaft in letzter Zeit recht viele Publikationen mit historischen Bezügen erschienen sind, wie z.B. Michael Bucklands „Ideology and Libraries“ (2021) oder Ann Blairs und Paul Duguids (et al.) „Information. A Historical Companion“ (2021). [zu beiden sind auch Rezensionen von mir in der Pipeline]

Der Titel des Seminars lautet deshalb: Geschichte und internationale Politik der Information – von der Seidenstraße der Antike bis zu den InfoWars des Cyberspace

Die Idee war dann auch, ein solches Seminarangebot für Studierende mit entsprechenden Zweitfächern zu konzipieren, damit hier Interdisziplinarität gelebt werden kann. Das betrifft natürlich Historiker und Politologen oder Kulturwissenschaftler, aber auch Romanisten (Französisch-Studierende), weil wir natürlich auch Paul Otlet und Henri Lafontaine besprechen müssen, die ja beide leider ziemlich aktuell geworden sind aufgrund ihrer Rolle als Friedensbotschafter nach dem Ersten Weltkrieg.

Die Erläuterung zum Seminar sind auf dieser Seite ausführlicher.

Was die Rolle als Seniorprof sonst noch bedeutet: ich lasse mich überraschen.