Welttag des Buches

Was es nicht alles für „Welttage“ gibt. Dieses Awareness-Instrument nutzt sich langsam ab. Unlängst machte die Potsdamer Bibliotheksgesellschaft genau auf dieses Phänomen aufmerksam mit einer Liste bibliotheksbezogener Jahrestage (im Zusammenhang mit deren Projekt eines immerwährenden Kalenders).

Korrekterweise heißt der Welttag des Buches eigentlich: „Welttag des Buches und des Urheberrechts“. Dennoch gibt dieser Tag Anlass, einmal daran zu erinnern, dass tatsächlich das Buch als eigenständige Medienform der Moderne einen Platz im kulturellen Bewusstsein behalten sollte. Das Lexikon der Gesamten Buchwesens (LGB2, s. Bild oben) wurde ja in einer verkürzten Neufassung zum Lexikon der Bibliotheks und Informationswissenschaft (LBI). Der Verleger Hiersemann höchstpersönlich hatte Herrn Umlauf und mich als Herausgeber vor allem auch „geködert“, weil er sagte, man könne doch viele Lemmata aus dem noch in der laufenden Publikation der letzten Bände befindliche LGB2 nutzen. Wir entschieden uns jedoch vollkommen dagegen und entwickelten eine völlig neue Liste von Lemmata und diese wurden von den Autoren auch in den allermeisten Fällen komplett ohne Rekurs auf das LGB2 redigiert.

Suche ich also jetzt an meinem Regal nach Werken, die näher am Buch sind, so komme ich oft sehr stark in die Medienwissenschaft, wie z.B. mit dem herausragenden Handbuch

Christians, Heiko; Bickenbach, Matthias; Wegmann, Nikolaus (Hg.) (2015): Historisches Wörterbuch des Mediengebrauchs. Köln, Weimar, Wien: Böhlau.

oder das Thema Buch wird insgesamt eher abstrakt unter „Information“ verhandelt wie bei

Blair, Ann; Duguid, Paul; Goeing, Anja-Silvia; Grafton, Anthony (Hg.) (2021): Information. A historical companion. Princeton: Princeton University Press. [s. meine Rezension hier]

Vieles zum Thema Buch wird auch unter Verlagswirtschaft behandelt. Die deutsche Buchwissenschaft ist jedoch z.B. im Vergleich zur Bibliothekswissenschaft an deutschen Universitäten recht stark vertreten. Was sich ja u.a. auch im FID BBI (ex „b2i“) niedergeschlagen hat. Genuin buchwissenschaftliche, wichtige und zugängliche Kompendien sind allerdings auch schon in die Jahre gekommen. So z.B. das seit 1958 existierende, handliche und sehr nützliche Hillersche „Wörterbuch“, das mir oft gute Dienste erwiesen hat. Jeder MS Office Fanatiker sollte sich mal die Lemmata „Hurenkind“ und „Schusterjunge“ anschauen in:

Hiller, Helmut; Füssel, Stephan (2006): Wörterbuch des Buches. Mit Online-Aktualisierung. 7., grundlegend überarb. Aufl. Frankfurt am Main: Klostermann.

Schön zu lesen – also weniger Nachschlagewerk als konkrete Einführung in das Thema – ist das ebenfalls aus der klassischen deutschen Buchwissenschaft stammende kleine Buch mit dem schönen Titel „Buch“:

Rautenberg, Ursula; Wetzel, Dirk (2001): Buch. Tübingen: Niemeyer (Grundlagen der Medienkommunikation).

Und viel über Bücher bzw. das Büchermachen und warum manche Bücher eher schön aussehen als andere, habe ich gelernt von dem Praktiker Friedrich Forssmann in seinem wundervollen Bändchen:

Forssman, Friedrich (2021): Wie ich Bücher gestalte. 4. Aufl. Göttingen: Wallstein Verlag (Ästhetik des Buches, 6).

Dies ist auch ein sehr, sehr schönes Geschenk oder Mitbringsel für den einen oder anderen Büchernarr, für den natürlich Umberto Eco die Apologien geschrieben hat mit:

Eco, Umberto (2016): Die Kunst des Bücherliebens. Unter Mitarbeit von Burkhart Kroeber. 3. Aufl. München: dtv (dtv, 13989) und

Eco, Umberto; Carrière, Jean-Claude (2010): Die große Zukunft des Buches. Gespräche mit Jean-Philippe de Tonnac. Unter Mitarbeit von Barbara Kleiner. München: Carl Hanser Verlag.

Und dann ist da noch in meinem Regal die alte vergilbte, aber reich mit schönen Geschichten und anschaulich geschriebene klassische Ausgabe von

Dahl, Svend (1941): Geschichte des Buches. 2. Aufl. – Leipzig: Hiersemann, 1941.

Und damit sind wir wieder bei Hiersemann angekommen.

Dies nur ein kleiner Gang zu meinem Regal, das manche in meinen Zoom Konferenzen im Hintergrund sehen. Den ganzen Bereich der französischen Buch- und Editionsgeschichte, der eher rechts weiter oben steht, habe ich damit noch ausgespart. In dieser Domaine ist ja oft die Mentalitäts- und Sozialgeschichte vorherrschend, waren ja François Furet und Robert Estivals, die Begründer der seriellen Buchgeschichte, auch federführend in der Schule der Annales in den 1960er Jahren. Damit aber überschreiten wir das Buch als Objekt und sind bei der gesellschaftlichen Bedeutung des Mediums… in Deutschland dann z.B. bei Rudolf Schendas „Volk ohne Buch. Studien zur Sozialgeschichte der populären Lesestoffe 1770 – 1910“ (3. Aufl.: Klostermann, 1988 [1.Aufl. 1970]) und der Literaturgeschichte, bei der ich dann zu meinem Lehrer Gérard Genette und seinem Paratext abdriften würde: Der Paratext. Das Buch vom Beiwerk des Buches. Frankfurt/M.: Campus., 1989.

Buch und Bibliothek als Universalmedium – was Schrift, Buch und Text nicht alles in die Bibliothek bringen. Im Grunde hat jeder Welttag von irgendwas, irgendwie mit Buch und Bibliothek zu tun. Wo aufhören? Im Paradies von Borges?