Architektur paralleler Bildungswege

INBAK-20150218… so hieß eine Veranstaltung mit kleinem geladenen Kreis am 18. Februar 2015 im INBAK (Institut für Nachhaltigkeit in Bildung, Arbeit und Kultur) in Berlin. Konrad Kutt hatte in seine „Stube“ geladen um mit Prof. Dr. Felix Rauner (I:BB, Bremen), Dr. Volker Rein (BIBB, Bonn), Prof. Dr. Johannes Meyser (TU Berlin), Dr. Jost Peter Kania Handwerkskammer Berlin und Siegfried Arnz (Senat Berlin) über den Zustand der beruflichen Bildung und speziell das berühmte deutsche „Duale System“ der Berufsausbildung zu diskutieren. Anlass war die Beobachtung einer starken Diversifizierung und „Verberuflichung“ der Bachelor-Studiengänge einerseits bei einer Stagnation der Zahl der Ausbildungsberufe und dem von der Politik immer wieder beschworenen Fachkräftemangel andererseits.

Felix Rauner (im Photo: Mitte) bekannt als Kenner des dualen Systems und renommierter Kompetenzforscher eröffnete den Abend mit einem spannenden Rundumschlag … gegen den Terminus „Wissensgesellschaft“ und den Erfinder der „Post-Industrial Society“, Daniel Bell. Er sei der  Auslöser einer Reihe von Problemen durch die vom ihm geschaffene Begrifflichkeit der „nachindustriellen Gesellschaft“ und der „Wissensgesellschaft“ deren „axiales System“ nach Bell Wissenschaft und Theorie sind. Rauner sieht in diesem Buch die Ursache der weltweiten Trends zu „college for all„, den „academic drift“ und die Stigmatisierung der Berufsausbildung, die in einzelnen Ländern erstaunliche Blüten treiben (Stichwort „Micky Mouse Studiengänge“). Bell und der von ihm ausgelöste Mega-Trend der Akademisierung ist nach Rauner im Grunde damit eine Ursache für die weltweite Jugendarbeitslosigkeit, weil in der Berufs-Ausbildung eine theoretische Orientierungslosigkeit entstanden ist, während früher im betrieblichen Lernprozess Weitergabe von implizitem Wissen im Sinne von Meisterschaft erfahrungsgesättigter war.

Einen zweiten Megatrend beobachtet nun Rauner in der Empfehlung der G20 Arbeitsminister und der EU, weltweit das System der dualen Berufsausbildung nach deutschem bzw. schweizerischem Muster einzuführen. Allerdings stehen dem jetzt schon andere weitreichende Regelungen entgegen wie der europäische Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen (umgesetzt im DQR) und die im akademischen Bereich sehr weitreichenden Versuche einer globalen Lockerung von Bildungsdienstleistungen im WTO/GATT-Abkommen.

In der Quintessenz wurde auch in der anschließenden Podiumsdiskussion beklagt, dass die Akademisierung die wahre und ganzheitliche Professionalität der Meisterschaft nicht ersetzen kann. Vielfach wurden fehlgeleitete Bildungsreformen beklagt und und Tendenzen beschrieben, die Rauners Thesen stützten – etwa der Bericht, dass in der Berufsschullehrerausbildung die Fachdidaktik gekürzt wird. (Im Vergleich dazu ist interessant, dass der Fachbereich Informationswissenschaften der FH Potsdam gerade eine Professur „Informationsdidaktik“ ausgeschrieben hat und der Masterstudiengang Informationswissenschaften sich verstärkt dem impliziten Wissen der der Professionalitätsdiskussion widmet.)

Im Laufe des Abends gab es noch einige Diskussion um das Theorie-Praxis-Problem und eine Art Hochschul-Bashing: „viele studieren ja nur aus Orientierungslosigkeit“ und „die Hochschulabsolventen haben ja nur noch erschreckendes Halbwissen“. Den Brückenschlag hier zwischen Hochschule und Berufspraxis hinzubekommen, und auch in der Hochschule „erfahrungsbasiertes Lernen“ zu ermöglichen, ist die Herausforderung unserer Zeit.

Ob dies alles wirklich nun die Schuld des Buches von Daniel Bell ist, konnte auch bilateral nicht abschließend geklärt werden. Für das Projekt zeigte die Diskussion jedoch, dass AKIB mitten im Kern einer großen gesellschaftlichen Debatte ist, in der wie im Projekt die beruflich/akademische Schnittstelle thematisiert wird – interessanterweise an diesem Abend eben entlang eines der Urtexte der Informationsberufe, dessen erneute Lektüre sich immer noch lohnt, nicht nur weil Daniel Bell die von uns so häufig bemühte Bibliotheksutopie von Jorge Borges (Bibliothek von Babel) in großen Teilen zitiert und einer berufsgründenden Exegese unterzieht.

Für mich persönlich gab es viel Stoff für meine neue Magistralvorlesung im Sommersemester zur „Informationsgesellschaft“ und für die Diskussionen in den Modulen zum Wissensmanagement im Masterstudiengang.

Anlass für meinen Besuch dieser Diskussionsrunde ist die aktuelle Überlegung zu neuen Studiengängen für kleinere Städte und deren Bibliotheken und Kultureinrichtungen z.B. im Sinne der SmartCountry Initiative.

(dies ist ein angepasster Reprint eines Blogbeitrags auf der Website des Projektes AKIB)