Information – eine Gefahr für die Demokratie?

Bild vom Vortrag

Im Veranstaltungssaal des Museums Altes Land in Jork (Foto: Dr. Janofsky)

Die Lessing-Gespräche in Jork (im Alten Land, nahe Hamburg) erinnern daran, dass Gotthold Ephraim Lessing an diesem Ort am 8. Oktober 1776 die Hamburgerin Eva Koenig heiratete.

Lessings „unbegrenzte Neugier, die alles anstaunt und erkennen will, auf mancherlei Spuren gerät, aber keine bis zum Ende verfolgen konnte, Ansichten zeigt, aber in Gegenden, die oft des Anblicks kaum wert sind“. So beschreibt Lessing seinen Entdeckergeist, der ihn auch heute zum streitbaren Gefährten macht.

Die Gemeinde Jork möchte mit den Lessing-Gesprächen einen Großen ihrer zahlreichen Gäste ehren. Die Lessing-Gespräche sollen ein Forum sein, welches die Gelegenheit gibt, frei, öffentlich und losgelöst von tagesaktuellen und politischen Zwängen über Themen nachzudenken, die sowohl für die kleine Gemeinschaft einer Gemeinde als auch für die weitere Gesellschaft Bedeutung haben. Diese Veranstaltungsreihe soll ein Moment der Besinnung in dieser hektischen Zeit und eine Facette des kulturellen Lebens in unserem ländlichen Raum sein. Die Gespräche finden jährlich im November im Museum Altes Land statt. [Zitat Website].

Welch eine Ehre zu diesem Anlass – und auch noch an einem 9. November – , einen Vortrag zu einem äusserst aktuellen Thema halten und mit angesehenen Vertretern der Gemeinde diskutieren zu dürfen! Die Museumsleiterin Frau Dr. Kai Janofsky hatte mich in ihrem Masterstudium Archivwissenschaft an der FH Potsdam erlebt und nach Jork eingeladen, dieses Thema zu diskutieren. Continue reading

Was sind Informationsvektoren?

Sie sind das, was die Vektoralisten-Klasse besitzt und womit sie die Hackerklasse ausbeutet, aber auch die Kapitalisten bedrängt, sagt McKenzie Wark, eine interessante Medienwissenschaftlerin an der „New School of Social Research“ in New York. Sie war schon 2004 bekannt geworden mit ihrem Hacker-Manifesto (nicht zu verwechseln mit dem Hackermanifest 1986) und hatte 2019 den „Tod des Kapitals“ ausgerufen. (2021 bei Merve auf Deutsch erschienen.)

Die Vektoralisten seien die neue herrschende Klasse geworden und die neuen Produktivkräfte in der „Gesellschaft des Spektakels“ (Guy Debord) seien nun vorwiegend immaterielle Güter wie Information, Wissen, Kultur, Patente, Urheberrechte aber eben auch der Besitz von Algorithmen wie denen der Warenlogistik selber (ihr Beispiel ist hier die Supermarktkette Walmart). Die „Hacker“, imgrunde Wissens- und Kulturarbeiter, Softwareentwickler etc., würden weitaus mehr ausgebeutet als früher die Arbeiter von den Kapitalisten. Wark suggeriert damit, dass „Information“ das neue Kapital ist (ohne auf Castells Informationalismus einzugehen), und dass sich die Produktionsverhältinisse so radikal verändert haben, dass etwas grundlegend Anderes und „Schlimmeres“ (im Orig. „worse„) als Kapitalismus entsteht.

Der Arbeitskreis Gesellschaftsanalyse der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin diskutiert in seiner Reihe „Zeitdiagnosen“ regelmäßig verschiedene Autoren, die als wichtige Stimme bzw. einschlägige Analysen der aktuellen gesellschaftlichen Transformation gelten. Letzten Freitag (8.11.2024), habe ich dort dieses Buch von Wark zur Diskussion gestellt. Es war eine angeregte Diskussion, die zwar einhellig die Faszination bestätigten, die von diesem Buch und seiner Autorin ausgeht, gleichzeitig aber auch ebenso einhellig zu dem Schluss kam, dass ihre Analyse nicht wirklich schlüssig ist und ihre Argumente nicht zu Ende gedacht sind. Es ist nicht wirklich etwas Neues, „Schlimmeres“, sondern „einfach nur“ die konsequente, weitergeführte Entwicklung des Kapitalismus ist, wenn es zum Finanz-, Daten-, Überwachungskapitalismus oder zum Informationalismus kommt. Marx und Engels vorzuwerfen, sie hätten die entstehende Informationsökonomie nicht erkannt, weil sie nur von der Dampfmaschine und der beginnenden industriellen Revolution beeindruckt waren, widerlegt nicht ihre grundlegende Kritik und ihre Beschreibung der Funktionsweise des Kapitalismus.

Hier mein Thesenpapier zur Diskussion: Continue reading

Das Buch ist da.

Es hat lange gebraucht und viele hatten schon immer wieder nachgefragt. Aber die Idee aus einem kurzen Handbuchartikel [1] ein ganzes Buch [2] zum Thema zu machen, erwies sich als schwieriger als gedacht. Vor allem neben einer Fachhochschulprofessur. Schon erste Recherchen zeigten mir, dass das Thema mitnichten das zentrale und alleinige Thema der Informationswissenschaft ist, sondern schon lange viele andere Disziplinen beschäftigt. Deshalb ging es nicht, „einfach“ nur die sehr multiplen Ergebnisse und Diskussionen der engeren Informationsverhaltensforschung zusammenzutragen (dazu gibt es schon genügend, wenn auch auf Englisch). Es wurde daraus der Versuch, die Transdisziplinarität der Informationswissenschaft ernst zu nehmen und soweit möglich, in anderen Feldern zu wildern. Einerseits um für die Informationswissenschaft den Blick zu öffnen, aber auch um andererseits Experten von außerhalb den Zugang zur Informationswissenschaft zu ermöglichen.

Es ist der Band 5 der Reihe: AGE OF ACCESS? GRUNDFRAGEN DER INFORMATIONSGESELLSCHAFT, die mittlerweile schon mit Band 14 zum Abschluss gekommen ist. Der Klappentext dazu beschreibt das Projekt:

Die verbreiteten Begriffe ›Informationsgesellschaft‹ und ›Age of Access‹ suggerieren die problemlose allseitige Zugänglichkeit von Information. Doch Information ist in der Realität in vielerlei Hinsicht unzugänglich – physisch, wirtschaftlich, intellektuell, sprachlich, politisch, technisch. Zudem entstehen täglich neue Techniken und Praktiken der Zugänglichmachung. Schließlich zeigen sich in verschiedenen Bereichen die Grenzen der Forderung nach Zugänglichkeit. Diese Buchreihe bringt Wissenschaftler und Praktiker verschiedenster Prägung zusammen, um die verschiedenen Dimensionen der Unzugänglichkeit von Information auszuloten sowie Prinzipien und Techniken ihrer praktischen und gesellschaftlichen Überwindung aufzuzeigen, aber auch notwendige Grenzen der Zugänglichkeit deutlich zu machen.

Als Beitrag für die Reihe entwickelte ich mein Buch, dessen Klappentext die Zielrichtung darstellt:

Das Verhältnis von Mensch und Information steht im Mittelpunkt vieler Wissenschaftsdisziplinen. Die Informationswissenschaften haben immer schon und in den letzten Jahrzehnten besonders intensiv untersucht, wie Menschen sich zu Informationen verhalten, sie suchen, finden und nutzen. Dennoch bleibt für diese Disziplin wie auch für Anthropologie, Erkenntnistheorie, Kognitionsforschung, Wirtschaftswissenschaft und Soziologie menschliches Informationsverhalten eine immer noch nicht gelöste Grund- frage. Dieser Band stellt erstmals für den deutschen Raum den aktuellen Kenntnisstand aus den unterschiedlichsten Perspektiven umfassend vor.

Es ist somit kein Kompendium zum „information behavior research„, sondern eher die Anlage eines Rhizoms, eines Steinbruchs, der Startpunkt für viele Fäden, die vielleicht ein neues Netzwerk bilden können. Das Buch kann linear gelesen werden (444 S.), es enthält aber vor allem eine Vielfalt an Zugängen mit zusammenfassenden „Kernsätzen“ zu den einzelnen Kapiteln, eine große Anzahl von internen und externen Verweisen sowie einem ausführlichen Register. Es kann als Einführung in die Informationswissenschaft gelesen werden, aber auch als Einkreisung des Themas „Information, Mensch, Gesellschaft“. Die Dauer der Bearbeitung wie auch die Vielfalt der aufgefächerten Fachdisziplinen bedeutet, dass jede/r Experte/in aus seinem/ihrem eigenen Gebiet Lücken oder Verkürzungen ausmachen wird, der Blick in die anderen Diskurse aber anregende neue Verknüpfungen ermöglicht. So zumindest die Hoffnung.

Am meisten hat mich persönlich der tiefe Blick in die Anthropologie und die Soziologie beschäftigt. Aber auch die Bearbeitung der wirtschaftswissenschaftlichen Grundfrage der Informationsasymmetrie oder der kognitionswissenschaftlichen Theorieentwicklung im Zusammenhang mit der KI Forschung am MIT war sehr spannend und hilfreich bei dem sich am Schluss schließenden Bogen der Informationsnutzung. Eine der faszinierendsten Erkenntnisse der Neurowissenschaft ist der Beleg dafür, dass menschliche Neugier, also die Suche nach Information, bzw. die Erwartung neue Information zu erreichen, Dopamin im Gehirn generiert und damit Information eine Droge ist.

Ich danke allen, die bewusst oder unbewusst beim Entstehen dieses Werkes, das der Herausgeber der Reihe André Schüller-Zwierlein magisterial nannte, mitgeholfen haben. Ich danke vor allem Freunden, Familie und Kollegen sowie dem Verlag und den Herausgebern der Reihe für die nicht nachlassende Geduld und das Vertrauen, dass das Buch erscheinen wird[3]. Ich hoffe, das Warten hat sich gelohnt.


[1] Informationsverhalten (Mensch und Information). In: Kuhlen, Rainer u.a. (Hgs.): Grundlagen der praktischen Information und Dokumentation. 6. Aufl., Berlin: de Gruyter, 2013. Kap. A9, S. 109-125. – DOI: 10.1515/9783110258264.109

[2] Informationsverhalten. Berlin: de Gruyter Saur, 2024 (Age of Access? Grundfragen der Informationsgesellschaft, 5). XIX+444 S. – DOI: 10.1515/9783110318463

[3] Das Buch ist am 21. Oktober 2024 erschienen. Die inhaltliche Bearbeitung war im Sommer 2023 abgeschlossen.

Universitätsbibliothek Magdeburg

Gruppenfoto zum Abschluss der Feierlichkeiten (Foto: UB OVGU)

Heute hatte ich die Gelegenheit bei der feierlichen Eröffnung der neugestalteten UB Magdeburg ein Grußwort zu halten. Linda Thomas hatte in den letzten wenigen Jahren günstige Gelegenheiten des Neuanfangs genutzt, die komplette Leselandschaft neu gestalten zu lassen.

Der Rektor der Universität, der Finanzminister des Landes Sachsen-Anhalt und die Kulturbeigeordnete der Stadt Magdeburg waren ebenfalls mit Grußworten beteiligt.

Hier der Text meines Grußwortes. Der MDR berichtete. (gleich 2x). Die Uni selber veröffentlicht einen sehr schönen Insta-Reel zu ihrem ersten Besuch in der Bibliothek.

Hier ein paar Fotoimpressionen von mir aus der neuen Leselandschaft. Im Einzelfall nicht unbedingt bemerkbar, aber das Ziel der Neugestaltung war vor allem, mehr Aufenthaltsqualität und mehr Lesemöglicheiten zu schaffen. Kaum waren die neuen Bereiche eröffnet, wurden sie aufgesucht und dienten der Begegnung und dem gemeinsamen Arbeiten. Dazu wurden 10 km (!) Regalfläche umgewidmet.

 

Herzlichen Glückwunsch der Direktorin der Bibliothek, Linda Thomas!

Linda Thomas beim Empfang zur Eröffnung der neuen Leselandschaft der UB Magdeburg am 8. Oktober 2024

 

 

Bibliotheken: Die fünfte Gewalt im Staat?

Cover BFP

Heute bekomme ich die Nachricht, dass mein Artikel in Bibliothek. Forschung und Praxis jetzt „ahead-of-print“ Open Access zugänglich ist: https://doi.org/10.1515/bfp-2024-0033

Er wird in einem Themenheft zu „Politik und Bibliotheken“ erscheinen, für das mich Claudia Lux gewonnen hatte. Zu dem Stichwort „Bibliotheken als Fünfte Gewalt“ hatte ich in letzter Zeit immer wieder Stellung genommen und war dankbar für die Gelegenheit, mich im Rahmen eines Fachartikels intensiver mit dem Thema auseinandersetzen zu können.

Hier das Abstract für den Text:

In der schwedischen Debatte um eine Nationale Bibliotheksstrategie wird Bibliotheken teilweise zugeschrieben, sie seien eine Fünfte Staatsgewalt. Der Artikel untersucht die Genese dieser Formulierung und konstatiert, dass in der weiteren Diskussion von diesem aktivistischen Standpunkt wieder abgerückt wird und Bibliotheken letztlich doch wieder als passiv neoliberale Schatztruhen bezeichnet werden. Die Formulierung Fünfte Staatsgewalt nahm ihren Ausgangspunkt in der Feststellung einer allgemeine Demokratiekrise, weshalb diese unter dem Eindruck neuer Demokratietheorie näher beleuchtet wird. Es wird das Konzept der Gewaltenteilung von Mon- tesquieu diskutiert und eine genauere Analyse des verbrei- teten Konzepts der Vierten Gewalt vorgenommen. Beides bietet Differenzierungen, die helfen, Bibliothekspraktiken neu zu positionieren. Am Schluss werden vier Aspekte vor- gestellt, die sich auf den Impetus der schwedischen Position beziehen lassen, Bibliotheken sollten auf die gesellschaft- lichen Veränderungen aktiv reagieren. Als eigenständige Gewalt gehen Bibliotheken aus dieser Analyse jedoch nicht hervor.