Die Lessing-Gespräche in Jork (im Alten Land, nahe Hamburg) erinnern daran, dass Gotthold Ephraim Lessing an diesem Ort am 8. Oktober 1776 die Hamburgerin Eva Koenig heiratete.
Lessings „unbegrenzte Neugier, die alles anstaunt und erkennen will, auf mancherlei Spuren gerät, aber keine bis zum Ende verfolgen konnte, Ansichten zeigt, aber in Gegenden, die oft des Anblicks kaum wert sind“. So beschreibt Lessing seinen Entdeckergeist, der ihn auch heute zum streitbaren Gefährten macht.
Die Gemeinde Jork möchte mit den Lessing-Gesprächen einen Großen ihrer zahlreichen Gäste ehren. Die Lessing-Gespräche sollen ein Forum sein, welches die Gelegenheit gibt, frei, öffentlich und losgelöst von tagesaktuellen und politischen Zwängen über Themen nachzudenken, die sowohl für die kleine Gemeinschaft einer Gemeinde als auch für die weitere Gesellschaft Bedeutung haben. Diese Veranstaltungsreihe soll ein Moment der Besinnung in dieser hektischen Zeit und eine Facette des kulturellen Lebens in unserem ländlichen Raum sein. Die Gespräche finden jährlich im November im Museum Altes Land statt. [Zitat Website].
Welch eine Ehre zu diesem Anlass – und auch noch an einem 9. November – , einen Vortrag zu einem äusserst aktuellen Thema halten und mit angesehenen Vertretern der Gemeinde diskutieren zu dürfen! Die Museumsleiterin Frau Dr. Kai Janofsky hatte mich in ihrem Masterstudium Archivwissenschaft an der FH Potsdam erlebt und nach Jork eingeladen, dieses Thema zu diskutieren.
Lessing war auf jeden Fall hierzu ein guter Anknüpfungspunkt, zumal er ein optimistischer Vertreter der Aufklärung war und (noch) nicht die Dialektik der Aufklärung nach der Revolution, im Faschismus oder angesichts der Klimakatastrophe erlebt hatte. Schaut man jedoch zurück zu den Ursprüngen der Aufklärung zu Beginn der kopernikanischen Revolution, des aufkommenden Szientismus und der immer drastischer werdenden Ausbeutung und Verwertung der Welt durch die Neugier des informationsfressenden und nutzenoptimierenden Menschen, so erkennt man, dass die „Aufklärung“ in einem weiteren Sinn uns nicht nur die Menschenrechte und die Demokratie gebracht hat, sondern auch den Bezug zur Welt verlieren lässt. Oder wie es Adorno und Horkheimer in der „Dialektik der Aufklärung“ formulierten:
„Auf dem Weg zur neuzeitlichen Wissenschaft leisten die Menschen auf Sinn Verzicht. Sie ersetzen den Begriff durch die Formel, Ursache durch Regel und Wahrscheinlichkeit.“ (Horkheimer und Adorno 1969 [1944], S. 11)
Auch die Kommunikationswissenschaftlerin Brenda Dervin hatte in ihrem berühmten Artikel zum Mythos „Information ↔ Demokratie“ herausgearbeitet, dass, wenn wir „gute Information“ (die Basis für „gute Demokratie“) nur positivistisch, wissenschaftlich, rein Fakten bezogen begründen dies uns unfähig macht
“to systematically share how we make and unmake sense while struggling collectively and individually through time-space.” ([uns] systematisch mitzuteilen, wie wir dem Leben Sinn geben oder eben nicht, während wir uns kollektiv und individuell durch Zeit und Raum kämpfen.) (1994, S. 381)
Nicht immer wird die Beziehung zwischen „Demokratie-Dämmerung“ und Klimakatastrophe mit dem Urtrieb des Menschen zur Selbsterhaltung (und deshalb aufmerksames und informationsfressendes Wesen) erklärt. Aber in vielen Zeitdiagnosen der letzten Zeit scheint diese (pessimistische) Sicht immer öfter durch. Am prominentesten vielleicht vom Soziologen Hartmut Rosa in seinem Buch „Unverfügbarkeit“ (2018).
Der Blick in die Geburtsstunden des Rationalismus und der Aufklärung zeigt allerdings schon bei Thomas Hobbes im 17. Jahrhundert eine entsprechende Erklärung. Mit seinem berühmtes Horaz-Zitat „homo homini lupus“ begründet er ja die Notwendigkeit eines Gesellschaftsvertrags, denn der Mensch im Naturzustand hat ein Selbsterhaltungsrecht, welches er ohne Regelung missbrauchen würde.
Insofern wäre es vielleicht an der Zeit, zu einer neuen Aufklärung zu kommen, die, wie auch in der aktuellen Demokratietheorie immer wieder gefordert, mehr Begegnung zwischen Menschen ermöglicht – nicht nur wie bei Chantal Mouffe (Agonistics) zum Austragen von Streit – sondern viel prinzipieller, weil Information nur durch „Begegnung und Konversation zwischen Akteuren“ entstehen kann, wie Gordon Pask sagt. Die „Philosophes“ der Aufklärung haben dies ja in den Cafés der bürgerlichen Öffentlichkeit erfolgreich praktiziert. Daran wäre anzuknüpfen, um wieder von den Daten zu Information, Wissen und Weisheit zu kommen.
Die ausgefeiltere schriftliche Fassung des Vortrag wurde bereits im Jahrbuch 2024 des Altländer Archivs veröffentlicht und kann hier ebenfalls nachgelesen werden.
Und besser als ich bringt es der Redakteur des Altländer Tageblatts in seinem Bericht zur den Lessing Gesprächen auf den Punkt.