Password zum Positionspapier der Leibniz Gemeinschaft

 

 

Im Branchennewsletter Password Online nimmt Willi Bredemeier ausführlich Stellung zum neuen Positionspapier der Leibnizgemeinschaft „Zukunft durch Forschung„. Er bemängelt vor allem die Tendenz der letzten Jahre, auch Informationsinfrastruktureinrichtungen unter Forschungsgesichtspunkten zu betrachten.

Der schleichende Umbau von Informationsinfrastruktureinrichtungen zu Quasi-Forschungsinstituten kann niemandem, auch nicht der Hochschulforschung, gerecht werden. Es handelt sich um einen Irrweg.
Nötig wäre es hingegen, den Besonderheiten von Informationsinfrastruktureinrichtungen Rechnung zu tragen sowie eine Intensivierung der Zusammenarbeit mit allen auch-außerwissenschaftlichen etablierten Zielgruppen und den Aufbau neuer Kooperationen auch zu nicht-wissenschaftlichen Zielgruppen zu fördern.

Als langjähriger Mitarbeiter bzw. als Mitglied des wissenschaftlichen Beirats solcher Einrichtungen kann ich aus der Innenperspektive nur sagen, dass diese Entwicklung den Informationszentren nur gut getan hat. Der enge Kontakt mit der Wissenschaft, den man als Serviceeinrichtung eigentlich schon hat, ist nicht zu vergleichen mit der konkreten Anbindung an Hochschulen über gemeinsame Berufungen. Erst damit kann die Serviceeinrichtung wirklich nachvollziehen, was es heißt, Wissenschaft zu betreiben.

In den Evaluationen wird entgegen der Vermutung von Bredemeier sehr wohl auf die Besonderheit einer Informationseinrichtung Wert gelegt. Man vergleiche nur in den Jahresberichten die Art und Inhalte der entstandenen Projekte und Publikationen. Die BLK hatte dazu ja auch vor Jahren festgestellt, dass z.B. das IZ Sozialwissenschaften der GESIS „der Leuchtturm der informationswissenschaftlichen Forschung geworden sei“. Der Informationswissenschaft hat jedenfalls die enge Verbindung mit der Infrastruktur gut getan. Ich denke auch nicht, dass gerade Leibniz Institute die außeruniversitäre Praxis aus den Augen verlieren. Eher im Gegenteil: gerade auch die Wirtschaft will und kann profitieren von wissenschaftlichen Erkenntnissen. Die Tatsache, dass es trotz entsprechender Positionspapiere am Anfang der Fachinformationsära keinen Ausbau der Informationswissenschaft in Deutschland gegeben hat (Kunz/Rittel) und diese an die Fachhochschulen verbannt wurde, hatte sich in der Zwischenzeit gerächt. Die jetzige Lösung ist aber sicher gerade für die Informationsinfrastruktur besser als eine Informationswissenschaft im universitären Elfenbeinturm.

 

4 thoughts on “Password zum Positionspapier der Leibniz Gemeinschaft

  1. Hans-Christoph Hobohm Post author

    Offener Brief an Prof. Hobohm,
    FH Potsdam

    Die Kernaufgaben der Informationszentren
    außer acht gelassen

    Die inhaltliche und Relevanzkrise
    der Informationswissenschaften
    nicht thematisiert

    Lieber Herr Hobohm,

    in Ihrem Blog http://hobohm.edublogs.org/ waren Sie so freundlich, auf meine Kritik am Positionspapier der Leibniz Gemeinschaft „Zukunft durch Forschung“ einzugehen. Noch besser, Sie haben mir widersprochen. Auch haben Sie meine Position mit dem folgenden Zitat und einer eigenen Zusammenfassung fair wiedergegeben:

    Zitat: „Der schleichende Umbau von Informationsinfrastruktureinrichtungen zu Quasi-Forschungsinstituten kann niemandem, auch nicht der Hochschulforschung, gerecht werden. Es handelt sich um einen Irrweg.“ – Zusammenfassung meiner Position nach Hobohm: „Nötig wäre es hingegen, den Besonderheiten von Informationsinfrastruktureinrichtungen Rechnung zu tragen sowie eine Intensivierung der Zusammenarbeit mit allen auch-außerwissenschaftlichen etablierten Zielgruppen und den Aufbau neuer Kooperationen auch zu nicht-wissenchaftlichen Zielgruppen zu fördern.“

    Nicht richtig ist hingegen Ihre Behauptung, dass ich „vor allem die Tendenz der letzten Jahre (bemängele), auch Informationsinfrastruktureinrichtungen unter Forschungsgesichtspunkten zu betrachten“. Das wäre ja albern, wenn ich solche Partialanalysen verbieten wollte, immer vorausgesetzt, es handelte sich um eine solche. Was ich vielmehr kritisiere, ist die Politik des Senats der Leiniz Gemeinschaft, Fachinformationseinrichtungen sehr weitgehend wenn nicht ausschließlich nach ihren Forschungsleistungen zu beurteilen und seine Entscheidungen zur Weiterförderung davon abhängig zu machen.

    Von diesem Halbsatz abgesehen sollte Ihre Darstellung meiner Position ausreichend sein, um sich mit ihr angemessen zu befassen. Im Einzelnen führen Sie fünf Kritikpunkte an:

    1. Die Entwicklung zu einer engen Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und den Informationenzentren hat letzteren „nur gut getan“. In diesem Punkt charakterisieren Sie sich ausdrücklich als Insider, so dass ich nur hoffen kann, dass auch ein unwissender Outsider etwas sagen darf und ein Insider aus falsch verstandener Loyalität nicht zuviel Kreide gefressen hat. Unmittelbar danach rechtfertigen Sie die „konkrete Anbindung an Hochschulen über gemeinsame Berufungen“. Denn: „Erst damit kann die Serviceeinrichtung wirklich nachvollziehen, was es heißt, Wissenschaft zu betreiben.“

    2. In den Evaluationen wird sehr wohl entgegen meiner Vermutung „auf die Besonderheit einer Informationseinrichtung Wert gelegt“. Damit verbunden wird auf nicht weiter spezifizierte Jahresberichte, Projekte und Publikationen verwiesen.

    3. Auch der Wissenschaft hat der enge Konnex zur Informationswirtschaft gut getan. So ist die GESIS laut BLK „der Leuchtturm der informationswissenschaftlichen Forschung geworden“.

    4. Schließlich führt die enge Zusammenarbeit zwischen Infrastruktur und Wissenschaft zu positiven Spillover-Effekten. „Gerade auch die Wirtschaft will und kann profitieren von wissenschaftlichen Erkenntnissen.“

    5. Die damalige Fachinformationspolitik hätte besser funktioniert, wenn es seinerzeit einen angemessenen Ausbau der Informationswissenschaft gegeben hätte. Aber jetzt, mit der engen Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Informationsinfrastruktureinrichtungen, ist alles besser geworden.

    Leider muss ich feststellen, dass Sie mit diesen Punkten auf meine Position, wie Sie sie selbst charakterisiert haben, nicht eingegangen sind. Nimmt man sich Ihre Thesen separat davon vor, so sind sie entweder trivial oder falsch:

    1. Ich habe mich nirgendwo gegen eine enge Zusammenarbeit zwischen Informationszentren und Informationswissenschaft ausgesprochen. Ich habe mich vielmehr dagegen ausgesprochen, Informationszentren in Pseudo-Forschungseinrichtungen zu verwandeln. Ich habe nirgendwo verneint, dass das Kerngeschäft der Informationszentren in den Evaluierungen keine Rolle gespielt hätte. Vielmehr habe ich kritisiert, dass das Kerngeschäft der Informationszentren für die Entscheidungen des Senats zur Weiterförderung bedeutungslos war und die Berücksichtigung aller Spezifika der Infrastruktureinrichtungen letzten Endes durch den Rost gefallen ist. Ich habe nirgendwo gesagt, dass die Wirtschaft nicht von wissenschaftlichen Erkenntnissen profitieren könne oder solle. Vielmehr habe ich kritisiert, dass die Zusammenarbeit der Informationszentren mit der Wirtschaft in den Entscheidungen des Senats zur Weiterförderung keine Rolle gespielt hat. Ihre Kritikpunkte sind zusammenfassend gesagt eine Larifari-Argumentation, in der Thesen widerlegt werden, die keiner formuliert hat, und mit der Sie meine Position vergessen zu haben scheinen.
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    Forschung ist für Einrichtungen der Informationsinfrastruktur sinnvoll, wenn sie damit ihre Kernaufgaben besser erfüllen. Sie hat insoweit eine instrumentelle und nachgeordnete Bedeutung.
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    2. Was ich an Ihrem Blogbeitrag wie an den Papieren der Leibniz Gemeinschaft wie an den wissenschaftspolitischen Stellungnahmen vieler Politiker kritisiere, ist die Wahl eines Argumentationsniveaus oberhalb sinnvoller Erörterungsmöglichkeiten. So bleiben allgemeinste Begriffe wie „Informationswissenschaft“ oder „Forschung“ durch die Bank unkonkretisiert, während sich der Wert von Informationswissenschaften oder der Forschung nur mit Blick auf konkrete Projekte, Ergebnisse und Konsequenzen ergeben kann. Wo wäre er denn, der behauptete Mehrwert, den die Wirtschaft durch die Informationswissenschaften erfahren hätte? Es mag plausibel sein, einen gewissen Nutzen der Forschung der Informationswissenschaften für die Informationszentren zu unterstellen, auch wenn dieser meines Wissens nirgendwo identifiziert und aufgelistet worden ist. Ich habe an mittlerweile drei ISI-Proceedings nachgewiesen, dass bedeutende Teile der Produktion der Informationswissenschaften unter Relevanzgesichtspunkten bedeutungslos sind. Wäre dem so, so könnten die Infrastruktureinrichtungen durch ein enges Zusammenwirken mit der Informationswissenschaft in deren inhaltliche Krise, die die bestehende institutionelle und finanzielle Krise verstärken kann, hineingezogen werden.

    3. Glücklicherweise werden Sie doch einmal konkret, als Sie nämlich die „Anbindung (der Infrastruktureinrichtungen) an Hochschulen über gemeinsame Berufungen“, vulgo, die Übernahme der Infrastruktureinrichtungen durch Hochschulprofessoren, befürworten. Ihre Begründung dazu lasse ich mir noch einmal auf der Zunge zergehen: „Erst damit kann die Serviceeinrichtung wirklich nachvollziehen, was es heißt, Wissenschaft zu betreiben“. Ja, besteht der Zweck einer Infrastruktureinrichtung darin, verehrungsvoll darauf zu schauen, was die Wissenschaft treibt, oder sie zumindest nachzuahmen statt in ihrem Kerngeschäft Medien verfügbar zu machen und Datenbanken zu produzieren? Hier sind Sie dem in diesem Punkt fehlgeleiteten Denken des Senates der Leibniz-Gemeinschaft gefolgt, indem Sie die Infrastruktureinrichtungen als Quasi-Forschungsinstitute oder als nachgeordnete Behörden der Wissenschaft behandeln. Die eigentliche Fragestellung, nämlich wozu man eine Professoralisierung der Fachinformationseinrichtungen benötigt, obgleich die Professoren das Kerngeschäft der Informationszentren nur am Rande kennen, haben Sie nicht einmal angedeutet.

    4. Selbst wenn die GESIS „der Leuchtturm der informationswissenschaftlichen Forschung“ wäre, es handelte sich um eine Fehlentwicklung, da die Hauptaufgabe der GESIS eine andere ist. Noch einmal: Forschung ist für Einrichtungen der Informationsinfrastruktur sinnvoll, wenn sie damit ihre Kernaufgaben besser erfüllen können. Sie hat insoweit eine instrumentelle und nachgeordnete Bedeutung. Zum zweiten: Auch hätten Sie sich, statt ein BLK-Zitat heranzuziehen, die GESIS-Veröffentlichungen vornehmen sollen. Dann hätten Sie den ISI-Proceedings entnommen, dass die GESIS-Publikationen nicht schlechter als manche anderen Veröffentlichungen dort sind, jedoch Bestandteil der inhaltlichen und Irrelevanzkrise der Informationswissenschaften wurden. Oder sehen Sie sich mehrere Ausgaben des GESIS-Newsletters an, die nun wirklich den Eindruck erwecken, als ob GESIS nur mehr Forschung betriebe und sich ihren Hauptaufgaben völlig entfremdet hätte. Was soll die GESIS auch anders machen, wenn der Senat der Leibniz-Gemeinschaft in seiner Entscheidung zur Weiterförderung in 13 Absätzen vier Absätze auf administrative Größen, 5 1/2 Absätze auf die Forschung und nur ein halber Absatz auf das Kerngeschäft bezog. (Das ist kein Einzelfall. Vielmehr komme ich für DIPF, FIZ Chemie, FIZ Karlsruhe, TIB, ZB MED, ZBW und ZPID zu ähnlichen Ergebnissen.) Da muss man sich doch in ein Quasi-Forschungsinstitut verwandeln, wenn man nicht Gefahr laufen will, demnächst nicht weitergefördert zu werden, und sich systematisch für das eigene Kerngeschäft entmutigen lassen.

    5. Ihre These, dass heute fachinformationspolitisch alles besser geworden ist, sehe ich nicht als Kritik an meiner Position. Ich halte sie aber für absurd. Besser als solche Behauptungen aufzustellen wäre es, ein Forschungsprogramm für die Informationswissenschaften unter Berücksichtigung von Relevanzgesichtspunkten aufzustellen und eine qualitativ hochwertigere ISI als die letzten in Köln, Konstanz und Hildesheim zu organisieren. Wenn Sie eine enge Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Informationszentren befürworten, sollte der zweite zwingende Schritt nicht darin bestehen, endlich einmal konkret zu werden und Projekte zu definieren, die den Informationszentren wirklich zugute kommen? Und kritisieren Sie mich weiterhin, aber bitte so, dass Ihre Punkte etwas mit meiner Position zu tun haben.

    Mit freundlichen Grüßen Ihr Willi Bredemeier

  2. Hans-Christoph Hobohm Post author

    Lieber Herr Bredemeier,
    vielen Dank für Ihre klare Stellungnahme und eindeutige Analyse. Ich kann Ihnen nur zustimmen. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft, Forschung und Informationszentren ist sicher eine Notwendigkeit, um als Service-Organisationen dem Kunden ein optimales Verständnis und Hilfen zukommen zu lassen. Es darf aber nicht zur Imitation einer Wirtschaftsorganisation wie in der Vergangenheit oder wie jetzt neu entdeckt, zur Kopie einer Forschungseinrichtung führen.
    Es wäre sinnhaft, wenn man sich auf die Unterstützung der für die Aufgabe notwendigen Kernkompetenzen konzentriert. Dazu kann auch Forschung gehören, aber sicher nicht allein. Leider muss man dazu über den eigenen Tellerrand sehen. Argumente, die darlegen, nur als Forschungsinstitute können wir diese Organisation durch das Grundgesetz schützen, brauchen wir nicht. Das wäre für eine moderne wissens- und informationsvernetzte Forschung in Deutschland tödlich.
    Mit freundlichen Grüßen
    Ihr René Deplanque, Secretary General of IUPAC

  3. Hans-Christoph Hobohm Post author

    Re: Offener Brief an
    Prof. Hobohm, FH Potsdam
    Die deutsche Informationswissenschaft
    ist, wenn es hochkommt,
    allenfalls Mittelmaß
    Quasi-Forschungsinstitute durch
    praxisbezogene wissenschaftliche Einrichtungen ersetzen!
    The Secret of Good Science
    Ehrlich gestanden hätte ich beim Lesen des Positionspapiers der Leibniz Gemeinschaft “Zukunft durch Forschung“ weder die Anmerkungen Bredemeiers noch die von Hobohm (http://hobohm.edublogs.org/ ) darin erkennen können, weil sie beide ein Insiderwissen enthalten, das ich nicht habe. Im Gegenteil, ich habe in diesem Positionspapier nur die typischen Allgemeinplätze erkennen können, die man heute in diesem Bereich als professionell ansieht, wie es sich schon im Titel „Zukunft durch Forschung“ so griffig abzeichnet. Professionell ist das, weil man möglichst Allgemeinplätze, die kaum jemand angreifen kann, nacheinander platziert. Durch das Insiderwissen ist die Diskussion darüber aber durchaus erhellend.
    Wenn Bredemeier schreibt: Der befürchtete „schleichende Umbau von Informationsinfrastruktureinrichtungen zu Quasi-Forschungsinstituten kann niemandem … gerecht werden“ scheint mir für ihn der springende Punkt das „Quasi“ zu sein, gegenüber Hobohms: „dass diese Entwicklung den Informationszentren nur gut getan hat“. Es wirft aber die alte Frage auf, was ist eigentlich aus der Aufbruchstimmung des Weinbergreports (1963) in den USA und der 1974/75 folgenden des IuD-Programms geworden?
    In den USA ging es über die Datenbanken wie MEDLINE, BIOSIS, CA, ERIC, Web of Science …, die Hosts wie BRS, SDC, Dialog …, bis hin zu Google und der digitalen Archivierung in XML mit MarkLogic recht beeindruckend aufwärts. Während in Deutschland GESIS “der Leuchtturm der informationswissenschaftlichen Forschung geworden” ist. Es ist klar, dass Deutschland auch informationswissenschaftlich gesehen nicht die USA sind, aber etwas fortschrittlicher hätten wir es schon gern gehabt. So ist es doch ein alter Hut, dass wir rund 100.000 € pro Wissenschaftler/in und Jahr zahlen, aber keine 100 € aufbringen, um deren jährliche Publikation wieder auffindbar zu machen. Das hat sich zwar dadurch erheblich verbessert, dass immer mehr Wissenschaftler/innen ihre Ergebnisse ins Netz stellen und Google sie sozusagen erschließt, was uns allerdings an den begrenzten Erfolg von vascoda erinnert. Bei fast allen Recherchen dominieren Ergebnisse aus den USA. So macht man Reklame für die eigene Forschungsleistung bis hin zum Impact Factor. Wir haben weder das fortschrittliche Dokumentationswesen der USA, das längst in der Digitalen Bibliothek aufgegangen ist, noch das der Franzosen noch das Bibliothekswesen kleiner Länder wie Skandinavien oder Niederlande, die damit ihre Sprachen und ihre Autoren schützen. Nein, Deutschland ist informationswissenschaftlich, wenn es hoch kommt, Mittelmaß, weil die Förderprogramme vom IuD-Programm über die folgenden Fachinformationsprogramme schlicht versagt haben. Die entsprechenden Entscheidungsträger haben die Eigenheit der Information in Relation zu Redundanz, Wissen oder Rauschen nicht erkannt und die falschen Berater befragt, wenn sie nicht sogar in Selbstherrlichkeit meinten, alles besser zu wissen und auf die damalige DGD verzichten zu können, denn das kann man bei P. Krause und J.M. Czermak nachlesen.
    Dass man in der Informationswissenschaft bis heute die fundamentale Bedeutung der Information, die bis in die Entropie der Physik, in die biologische Evolution der DNS und in alle Ecken der Informatik reicht, bislang nicht erkannt hat, weil man sie als Begriff laienhaft verwendet, wird allenthalben deutlich. Schon die so oft als Synonym verwendeten Worte Forschung und Wissenschaft machen das erkennbar. Forschung ist die systematische Suche nach Information, also nach Daten, die bislang unbekannt waren und damit neu sind, während Wissenschaft die Logik begründeter Information zu vertiefen und folgerichtig auszubauen versucht, also das vorhandene Wissensgebäude immer weiter zu festigen und auszubauen. Insofern ist es ein Unterschied, ob man sich Zukunft durch Forschung, Zukunft durch Wissenschaft oder Zukunft durch Forschung und Wissenschaft auf die Fahnen schreibt.
    Die Warnung am Beginn der deutschen Bibliotheks- und Informationswissenschaft bei dem Kolloquium „Bibliothekswissenschaft“ (27.–29. Oktober 1969) in Köln war durchaus berechtigt, als M. Cremer sagte: „Das Feld der Informationswissenschaft ist jedenfalls zu groß, um im Rahmen eines Instituts oder gar eines Lehrstuhles dargeboten zu werden.“ Dieser Mann wusste noch, was Informationswissenschaft ist. Andererseits war von Anfang an klar, wenn auch nicht allen bewusst, dass sich Informationswissenschaft in Verbindung mit Bibliothekswissenschaft auf die publizierte Information zu konzentrieren hatte. Außerdem konnte und musste man schon immer in einem Fach, bedingt durch die Interdisziplinarität, wie sie sich im Bradfords Law of Scattering abzeichnet, Anregungen aus anderen Disziplinen integrieren.
    Bis heute leiden wir an irreführenden Vorstellungen wie jene, dass Information ein Rohstoff sei (als wäre Information ebenso begrenzt wie Öl, Gold oder Wasser) oder Information eine Ware wie jede andere auf dem Handelsmarkt der Welt (nur weil man sie so verknappt, als wäre sie ein seltenes Handelsgut), und als gäbe es nicht die Möglichkeit, fast unbegrenzt Kopien (Redundanz) davon zu fertigen. Ganze Generationen von Bibliotheks- und Informationswissenschaftlern wurden mit den Fachinformationsprogrammen in die Sackgasse der Information als „Produktionsfaktor“ bzw. als „Rohstoff“ geführt, und das rächt sich nun.
    Wenn N. Wiener in Mensch und Maschine. Kybernetik und Gesellschaft. Athenäum Verl. Frankfurt (1964) auf S. 118 schrieb, „Information und Entropie bleiben nicht unverändert und sind gleichermaßen ungeeignet, Ware zu sein“, wäre es gut gewesen, wenn einige Informationsspezialisten darüber etwas intensiver nachgedacht hätten. Dass Information eine Negentropie (Schrödinger 1944) ist, haben noch zu wenige Fachleute in seiner Konsequenz begriffen.
    Auch die Kommission Zukunft der Informationsinfrastruktur hat im Auftrag der Wissenschaftskonferenz (GWK) im April 2011 diesen Unsinn von „Information ist ein Rohstoff für die Wissenschaft“ nachgeplappert. Man kann es nicht anders sagen, wenn eine rund 135 Personen starke „hochrangig besetzte Expertengruppe“ unter Federführung der Leibniz-Gemeinschaft zu diesem Ergebnis beitrugen. Wer sich einmal etwas intensiver mit der Informationstheorie von Wiener, Shannon, Weaver usw. beschäftigt hat, weiß, dass dort sehr klar zwischen Information, Redundanz und Noise unterschieden wird.
    Außerdem wissen wir doch längst, dass es neben der Informationsversorgung der Wissenschaft inzwischen darum geht, alle Beteiligten bei der weltweiten Fließbandproduktion des Wissens optimal zu unterstützen. An die Stelle von Quasi-Forschungsinstituten müssen nun endlich leistungsstarke praxisbezogene wissenschaftliche Einrichtungen treten.
    Max Perutz hatte Recht, als er schrieb: „The secret of good science is simple. No politics, no committees, no reports, no referees, no interviews – just gifted, highly motivated people picked by a few men of good judgement.”
    Walther Umstätter

  4. Hans-Christoph Hobohm Post author

    Ach wunderbar! Endlich Traffic im Web2.0
    Vielen Dank die Herren.

    Ehrlich gesagt ist mir allerdings die Diskussion zu hoch (aufgehängt) und ich finde es schade, dass die wenigen Initiativen, die es noch gibt so wortgewaltig bearbeitet werden. Meine wenigen Zeilen habe doch gar nicht so viel Resonanz in der Papierwelt (?) verdient. Gibt es keine anderen News? Und was ist die geheime Agenda hinter diesem Angriff? Ich mache mal weiter mit dem Larifari, wie es sich gehört in einem Weblog. Ansonsten reagieren Sie bitte auf meine wissenschaftlichen Artikel. Vielen Dank.

    Mein Punkt war lediglich, dass ich wie Sie versucht habe zu analysieren, warum es der Informationswissenschaft (vor allem in Deutschland, auch auch weltweit) nicht so gut geht, wie man es in einer „nächsten Gesellschaft“ (Baecker) eigentlich von ihr erwarten würde. (d.h. post-Weinberg). Aber leider reicht mir als FH Lehrer die Zeit für fundierte Analysen nicht…. wie Sie selbst bemängelnd feststellen. (Und ob FHs relevant sind (oder nur ‚angewendet‘) würde ich ebenfalls mal diskutieren. Haben Sie mal 18 Semesterwochenstunden unterrichtet mit einem Gehalt eines Realschullehrers? Herr Umstätter kennt dies ja.) Ich bin jedenfalls immer noch froh, dass manche Leibniz-Institute (wie GESIS, ZPID, DIPF oder auch ATB), so lange es Leibniz noch gibt, etwas Informationswissenschaft zulassen, die an FHs prinzipiell verunmöglicht wird und an Unis paradigmatisch unerwünscht ist.

    Jedenfalls vielen Dank für Ihre Reaktionen, die ich, Ihr Einverständnis voraussetzend, von einem „Offenen (?) Brief“ wieder in das eigentliche Diskussionsforum des Weblogs zurückverwandle (oh Wunder der Technik)

    Freundlichen Gruß
    Hans-Christoph Hobohm

    PS Lieber Herr Bredemeier, ich freue mich auf ihre erneute Ferndiagnose der nächsten ISI. Als Gutachter im laufenden Review-Verfahren hätten Sie Ihre wahre Freude, kann ich Ihnen versichern.

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