Tag Archives: alte Welt

Zweidimensionale Bildschirme lassen das Gehirn verkümmern

Die Debatte um die Gefährlichkeit der vernetzten und zweidimensionalen Bildschirmwelten hatte im Laufe des Jahres 2009 schon eine gewichtige neurophysiologische Stellungnahme von Seiten eines Mitglieds des britischen House of Lords Baroness Susan Greenfield, Professorin für Neurophysiologie in Oxford, erhalten, die immer noch anschauenswert ist.  „Die Gefahr des Social Networking“: Vortrag am 4.10.2009 im Sydney Opera House:

Die Reaktionen und Verwertungen des Vortrags (z.B. der hier vernetzte Ausschnitt) zeugen von der in ihm vermittelten These, dass die meisten Menschen eine Art Aufmerksamkeitsdefizit haben und den Film nicht zu Ende bzw. ganz anschauen. Tut man dies, so erkennt man den Tenor der Debatte vor allem ab dem Zeitpunkt an dem Lady Greenfield („eine der 50 mächtigsten Frauen Englands“) über die neuen Medien spricht. Die Argumentation gibt sich den Anschein ganz hoher Wissenschaftlichkeit mit vielen Beispielen aus der Gehirnforschung, aber wo es darauf ankäme, zu den eigenen Thesen im Hinblick auf die neuen Medien Belege vorzuweisen, werden immer nur Analogien zu alten Forschungsergebnissen gezogen. Die gewählten „Filmzitate“ während des Vortrags erscheinen mir ebenfalls eher tendenziös – um nicht zu sagen manipulativ. Ich empfehle den ganzen Vortrag zu hören/sehen (mp4-Langfassung).

Lady Greenfield sagt allerdings selber am Schluss, dass alles, was sie vorher gesagt hat nur Meinung war und nicht durch Forschung belegt ist: „man solle das doch mal sagen dürfen… “ Als publikumswirksame Psychologin sollte sie wissen, was sie damit anrichtet.

vgl. auch mein Beitrag zu Schirrmacher

Payback: perfekte Vermarktung in der alten Welt

Informationsflut oder Logorhroe

Schön, dass sich jemand dieses Themas (Informationsentropie) annimmt. Frank Schirrmacher zeigt uns gleichzeitig, wie Informations- und Kommunikationsmedien (vor allem die klassischen) funktionieren. Und produziert selber Informationsfluten, denn er beherrscht die Klaviatur perfekt. Und darf in allen (wirklich allen: sogar in „Bild“ wird er abgedruckt) sein Buch bewerben. Man muss dabei eben wissen, dass er Chef des Feuilletons der FAZ ist: er als Person ist eine Institution in unserer Rest-Gelehrtenrepublik. Und er schreibt gerne solche Bücher, die sich gut verkaufen. Trotzdem sind mir andere medienwissenschaftliche Reißer wie Neil Postman oder Richard Sennett um einiges lieber.

Dazu gibt es heute eine fast erfrischende Rezension im Berliner Tagesspiegel:

„Payback“ ist das Buch eines Journalisten, der im Angesicht seiner eigenen Überforderung durch den information overload von Internet und Handy in konsequenter Ich-Perspektive dem Leser erklären will, „warum wir im Informationszeitalter gezwungen sind zu tun, was wir nicht tun wollen, und wie wir die Kontrolle über unser Denken zurückgewinnen“. Das Ganze ist im vollen Bewusstsein, dass jedes maschinenstürmerische Ansinnen nur lächerlich wäre, halb kulturkritisches Pamphlet, halb Ratgeber: in der Fülle des ausgebreiteten Materials immer anregend, mit leichter, gedanklich allerdings oft fahriger Hand geschrieben und in der Verengung des Horizonts auf die unmittelbare Gegenwart legitim.

Frank Schirrmacher beschreibt den historischen Wendepunkt, den er in den sich verselbstständigenden Informationstechnologien sieht, mit einer Dringlichkeit, die das bisher nur vage Empfundene begrifflich klar zu konturieren versucht – auch wenn die Klagen über Zerstreuung und Überreizung älter sind als das Netz. Mit Recht fürchtet er ein Lesen, das ins maschinelle Gelesenwerden umschlägt, ein Denken, das uns denkt: den Übergang von Selbstbestimmung zu Fremdbestimmung.

Ob der Rezensent (Gregor Dotzauer) mit seiner Kritik das Buch wirklich treffend beschreibt, werde ich nicht beurteilen können, denn ich werde es nicht lesen, werde ich ggf. bei Living Social in einer Kurzrezension berichten. Ich habe mich doch überreden lassen, es zu kaufen und muss gestehen, dass die Lektüre faszinierend ist. (Nachtrag Jan. 2010)

Vielmehr bringt es mich erneut auf die These von Wayne Wiegand, der von den beiden blinden Flecken der Bibliothekswissenschaft sprach: dem Raum und dem Lesen. Dem Raum haben wir uns mittlerweile schon etwas gewidmet, aber wie Lesen in und mit Informationsinfrastrukturen funktioniert, ist weder erforscht noch benennbares Thema: vielmehr kann man einfach vom „maschinellen Gelesenwerden“ sprechen. Die Rede von der Informationsflut ist so alt wie die Information selbst – wenn man so sagen darf. Jedes Zeitalter hat seine Medien und seine spezifischen Informationsfluten, und jedes Mal gibt es Personen des alten Paradigmas, die den Verlust der Informationskultur ja der Welt überhaupt beklagen. Die Klage über die Informationsflut: ein Generationenproblem?

(Immer noch lesbar: Wiegand, Wayne A. (1999): Tunnel Vision and Blind Spots. What the Past Tells Us about the Present; Reflections on the Twentieth-Century History of American Librarianship. In: Library Quarterly, Jg. 69, S. 1–32.)

Nachtrag 1.2.2010: Sehr schöner Kommentar im Blog „Indiscretion Ehrensache“ von Thomas Klüver.

Berlin bekommt Flugplatz-Bibliothek!

Auch wenn es BSU schon gemeldet hat: es muss hier noch mal gepostet werden (kommt einem eher vor wie 1. April). Bild meldet:

Mittwoch, 25. März 2009, 19:12 Uhr

Berlin (dpa/bb) – Der Berliner Senat plant laut RBB-Abendschau einen Neubau für die Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) auf dem Gelände des früheren Flughafens Tempelhof. Nach Informationen des Senders haben sich der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und die Fraktionschefs von SPD und Linkspartei im Abgeordnetenhaus, Michael Müller und Carola Bluhm, auf dieses Vorhaben verständigt. Die ZLB ist bisher an zwei Standorten in der Breite Straße und in der Amerika-Gedenkbibliothek untergebracht und leidet seit Jahrzehnten unter baulichen Mängeln und massiver Raumnot. Für den Neubau am Rande des Tempelhofer Damms werden rund 270 Millionen Euro kalkuliert.

Es wurde wirklich Zeit! Herzlichen Glückwunsch Claudia Lux!

Was wird jetzt aus dem Centre Pompidou auf dem Schlossplatz? Und warum wird die Berliner Zentralbibliothek aufs Abstellgleis äh.. Flugfeld gestellt? (ZLB –> RLB) Gibt es dann wenigsten eine neue U-Bahn und eine eigene Station wie in Paris? Und ist die Summe vielleicht nicht doch etwas gering für die Bedeutung dieser Bibliothek?

Himmelhochjauchzend zu Tod betrübt.

Auf der ZLB Seite ist dazu noch nichts.

Stadtarchiv Köln: FH Potsdam hilft

Bild: AdHocNews

Pressemeldung der FH Potsdam: (aus dem Web0.0 bzw. 1.0)

Studierende der Fachhochschule Potsdam helfen bei Sicherung der bedrohten Kölner Archivalien

Studierende des Fachbereichs Informationswissenschaften der Fachhochschule Potsdam werden in den kommenden Tagen in Köln bei der Rettung der Archivalien des eingestürzten Stadtarchivs behilflich sein. Trotz Semesterferien folgten 30 Studierende umgehend dem Aufruf von Dr. Karin Schwarz, Professorenstellvertreterin im Fachbereich Informationswissenschaften. Zwölf von ihnen werden jetzt nach Köln fahren und die geborgenen Archivalien sichten, sortieren und die entstandenen Schäden feststellen. Sie werden in einem Dreischichtbetrieb rund um die Uhr gemeinsam mit anderen Archivaren und Auszubildenden arbeiten.

Die Archivalien werden von der Einsturzstelle in größere Hallen in Köln transportiert und dort von zahlreichen fachlich versierten Kräften begutachtet. Durchnässte Archivalien lassen sich mittels Gefriertrocknung sichern, andere müssen von Staub befreit werden, manche sind durch die Aufbewahrung in Archivkartons beinahe unversehrt. Es muss jedoch auch mit zerrissenen und zerknüllten Schriftstücken gerechnet werden, deren Zusammenhänge die Studierenden wiederherstellen können.

Der Einsturz des Stadtarchivs Köln hat unter den Lehrenden und Studierenden der Fachhochschule Potsdam persönliche Betroffenheit und Entsetzen ausgelöst. „Wir sind erleichtert darüber, dass zwei Absolventen der FH Potsdam, die im Historischen Archiv der Stadt Köln arbeiten, unversehrt blieben. Aber unsere Trauer und Anteilnahme gilt den Angehörigen des Toten und des Vermissten“, erklärt Prof. Dr. Hans-Christoph Hobohm, Dekan des Fachbereichs Informationswissenschaften. „Umso mehr hofft der Fachbereich“, so Hobohm weiter, „mit seiner Initiative zur Rettung der Kölner Stadtgeschichte, zur Bewahrung einmaliger, unersetzbarer Dokumente beitragen zu können.“

Ansprechpartnerin für weitergehende Informationen ist Dr. Karin Schwarz (Tel: 0331 580-1528 bzw. E-Mail: ›schwarz(AT)fh-potsdam.de).

In der Presse am 10.3.: Ad Hoc News, am 11.3.: dpa/Potsdamer Neueste Nachrichten S.8 print-Version, Märkische Allgemeine Zeitung.

vgl. auch die Beiträge in diesen Blog am 8.3., am 6.3., am 4.3..

Alte Welt gegen neue Welt (Fall Tauss)

Mario Sixtus, der elektrische Reporter, weist bei Twitter darauf hin, dass gegen Jörg Tauss (MDB) Beschuldigungen wegen Kinderpornographie erhoben wurden, während Tauss selber zeitgleich im Bundestag über die neuen Medien Twitter und Facebook spricht. (vgl. Nachricht in der Presse.) Tauss ist bekannt geworden als ein Verfechter der Bedeutung der Informationswirtschaft und gilt als „Versteher der Neuen Medien“. Zumindest probiert er sie aus – wie seit einigen Wochen Twitter und Facebook. (wie ich finde professionell, erfolgreich und charmant…)

Regelrechte Verschwörung würde ich (im Gegensatz zu Sixtus) da nicht vermuten, sondern systemische Determination 😉 . Irgendwie war es ja zu erwarten, dass so jemand (post)modernes den anderen verdächtig wird. Dass es gleich so gewaltige Geschütze sein müssen, erstaunt allerdings etwas. Aber man erlebt es ja auch im Alltag, wie viel Angst die neue Welt auslöst (z.B. gestern der Bericht im Tagesspiegel über zunehmende Internetablehnung bei der Bevölkerung).

Das ist mehr als Digital Divide. Das ist eine tiefer liegende, problematischere Kluft, die immer dann entsteht, wenn ganze Weltbilder ins Wanken geraten.

Nachtrag 6.3.: Tauss ist von seinen Ämtern zurückgetreten, obwohl gleichzeitg bestätigt wird, dass der dienstlich mit Kinderpornographie betraut war.

Telepolis 8.3.: Mediale Hinrichtung eines Politikers – woher kannte die Presse so schnell die Details?

im Netz seit 9.3.: Solidaritätsplattform Causa Tauss.