Während die Stadtbibliothek in Potsdam zum ersten Mal seit zehn Jahren steigende Benutzerzahlen meldet (Auswertung der Ausleihstatistik 2008 ergibt Modellnutzer: „Krimifan mit Modemacke„), wird aus den Vereinigten Staaten berichtet, dass dort Bibliotheken eine zunehmend wichtige Rolle im Zusammenhang mit der Wirtschaftskrise spielen. Der amerikanische Bibliotheksverband wies schon mehrfach auf die dramatisch gestiegenen Nutzerzahlen hin, die direkt auf Weiterbildungs- und Jobsuche zurückgeführt werden. (Nachtrag 14.4. auch MAZ hat dies am 4.4. gemeldet, via Netbib: „Aufschwung durch bessere Ausstattung“)
Hierfür sind die amerikanischen Bibliotheken ja auch gut aufgestellt, da sie immer schon den praktischen Nutzenaspekt in den Vordergrund gestellt haben. Eine neue Funktion bereitet den Bibliotheken allerdings Sorgen. So beschreibt die International Herald Tribune am 4. April 2009 aus der Arlington Heights Memorial Library, nicht nur die zunehmende Zahl der Jobsuchenden in der Bibliothek, sondern schildert auch drastisch die psychologischen und sozialen Konsequenzen der Arbeitslosigkeit. Bibliothekare werden hier immer mehr zu Sozialarbeitern, die abends die Obdachlosen betreuen müssen und immer öfter auch mit Gewalt konfrontiert werden, die sich in den Freiraum der Bibliotheken ausbreitet. Sie sind zwar „Häfen im Sturm“ der Wirtschaftskrise, aber die Menschen bringen ihre Depression und Aggression mit in diesen Hort. Die Bibliothekarinnen fühlen sich überfordert in dieser neuen Rolle:
Bibliothekarin in Arlington Heights (Vorstadt von Chicago)
„I guess I’m not really used to people with tears in their eyes,“ said Rosalie Bork, a reference librarian in Arlington Heights, a well-to-do suburb of Chicago. „It has been unexpectedly stressful. We feel so anxious to help these people, and it’s been so emotional for them.“
Hier der Text aus der PNN Online Ausgabe vom 4.4.2009:
Krimifans mit Modemacke
Innenstadt – Die Potsdamer sind modeverrückte Krimifans mit Minderwertigkeitskomplexen. Das zumindest legt die Ausleihstatistik der Stadt- und Landesbibliothek nahe: Am häufigsten entliehen wurden demnach im vergangenen Jahr bei den Filmen „Der Teufel trägt Prada“. 55 Mal, also jede Woche, wurde die Modeszenen-Satire ausgeliehen. In der Belletristik-Abteilung landeten die Stieg-Larsson-Krimis mit 24 Entleihungen auf Platz eins und bei den Sachbüchern war „Liebe Dich selbst und es ist egal, wen du heiratest“ mit 16 Entleihungen der Renner.
Solche Daten kann Bibliotheksleiterin Marion Mattekat in diesem Jahr zum ersten Mal nennen: Möglich wird die titelgenaue Auswertung durch die neue Software, die seit mehr als einem Jahr läuft. In der technischen Ausstattung und dem größeren Etat für Neuanschaffungen sieht Mattekat den Grund für die positive Entwicklung der Nutzerzahlen.
Denn erstmals seit zehn Jahren hat die Stadt- und Landesbibliothek mehr Nutzer als im Vorjahr, erklärte die Bibliothekschefin gestern vor Journalisten. 14 171 aktive Nutzer gab es 2008. Das sind sechs Prozent mehr als im Vorjahr mit 13 413 Nutzern. Die Zahl der Entleihungen stieg in der gleichen Zeit von 808 000 auf 923 000. Dabei war jedoch jede dritte Entleihung kein Buch, sondern kommt aus dem Bereich audiovisuelle Medien. Ein weiteres Drittel machten die Fachbücher aus. Das dritte Drittel teilten sich Romane und Kinderbücher.
In diesem Jahr wollen Mattekat und ihre gut 40 Mitarbeiter verstärkt auf neue Medien und neue Nutzergruppen setzen: So können Bibliothekskunden seit Januar kostenlos den Internet-Informationsdienst „Munzinger“ nutzen. Auch die 2008 begonnene Kooperation mit dem Kindersoftwarepreis „Tommi“ soll 2009 fortgesetzt werden. So gebe es einmal wöchentlich einen Spiele-Nachmittag, an dem Kinder unter Anleitung neue Videospiele ausprobieren könnten.
Während die Bibliothek wie in den Vorjahren mit Einstellungsstopp arbeitet, soll der Etat für Neuanschaffungen weiter steigen: Waren es 2008 noch 200 000 Euro, sollen jetzt 240 000 Euro, im Jahr 2012 sogar 329 000 Euro für neue Bücher und Medien ausgegeben werden. Gut angelegtes Geld, wie Mattekat vorrechnete: So hätten die Neuzugänge – insgesamt 21 000 Medien – im Jahr 2008 immerhin 24 Prozent der Entleihungen ausgemacht.
„Bildungsschwache Schichten“ will die Bibliothekschefin durch die Mitarbeit im von der Volkshochschule initiierten „Alphabündnis Potsdam“ und durch die Kooperation mit der Arbeitsagentur erreichen. Momentan machten ALG-II-Empfänger nur fünf Prozent der Nutzer aus, obwohl der Bibliotheksausweis für sie kostenlos ist.
Die größte Baustelle kommt Ende des Jahres auf die Stadt- und Landesbibliothek zu: Der Umbau des Gebäudes nach den Plänen des Potsdamer Architekten Reiner Becker. Einen Zeitplan für die Bauarbeiten gebe es allerdings noch nicht, sagte Mattekat: „Ich gehe davon aus, dass wir mindestens bis Oktober normal weiterarbeiten.“ Ob der Umbau bei laufendem Betrieb geschehen kann, werde derzeit noch geprüft. Mit der Neueröffnung 2012 werde es auch wieder ein Café geben – dann im Erdgeschoss. Die bisherige Betreiberin des Lesecafés auf der ersten Etage habe „ein lukrativeres Angebot“ gefunden.
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Hier der Text aus der Mobilphone-Ausgabe der Herald Tribune, der mit der Printausgabe identisch ist:
An dieser Stelle frage ich mich, warum genau die genannten Rollen für Bibliothekare im Studium keine Rolle spielen, zumindest aktuell nicht. Ich denke der Bibliothekar als Sozialarbeiter ist vielleicht eine Funktion deren Wichtigkeit steigt, allerdings auch eine Funktion, die ich mit der täglichen Arbeit in Bibliotheken verbinde. Viele viele Gespräche mit Lesern von Bibliotheken waren irgendwie immer ein Stück Seelsorge. Insofern ist diese Frage unglaublich wichtig.