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Die Notwendigkeit von Fahrbibliotheken

in der Fahrbibliothek

Ein schönes Feature im RBB Inforadio berichtet darüber, wie notwendig Bücherbusse gerade auf dem Land sind. Die Reportage ist aus Südbrandenburg: 25 Kilometer bis zum nächsten Buch, kein Konsum, keine Post und kein Führerschein…

In der Anmoderation ist der Aufhänger allerdings die zunehmende Schließung von Fahrbibliotheken in der Fläche Nordbrandenburgs und in Mecklenburg-Vorpommern.

Öffentliche Bücherregale und Bücherschränke

Ist es ein Zeichen für das Ende der Gutenbergalaxis? Es ist schon ein eigenartiges Gefühl, vor einem Bücherregal zu stehen, das keinem gehört, in das man seine Bücher hineinstellen und die anderer herausnehmen kann – mitten in der Stadt. Anders als bei Bookscrossing fehlt hier der spielerische Aspekt. Es scheint eher eine Art Bibliothek im Kleinen zu sein. Ursprünglich wohl auch eher als Kunstaktion gedacht, scheint dieses Modell sehr gut zu funktionieren. In Münster z.B. wurde im Dezember 2009 sogar ein zweites eröffnet. Offensichtlich kommen kaum Fälle von Vandalismus vor: das Buch gilt immer noch als sakrosankt. Es gibt zwar auch Bibliotheken, die sich das Instrument zu nutze machen wie in Marburg, doch sind die „Regalpaten“ wohl eher Personen oder Organisationen der Zivilgesellschaft, angefangen beim Lions-Club oder Bürgervereinen bis hin zu Cafés und Restaurants.

Offener Bücherschrank in Bonn (Photo Hobohm 2014)

Offener Bücherschrank in Bonn (Photo Hobohm 2014)

Eine wirtschaftswissenschaftliche Analyse zu diesem irrealem Tauschsystem steht dem Phänomen eher ratlos gegenüber: „ein merkwürdiges Versorgungssystem“. (Prof. Piorkowsky und Studierendengruppe der Uni Bonn: Bonner_Buecherschrank_Dies2008). Die befragten Passanten und Nutzer beurteilten den öffentlichen Bücherschrank in der Poppelsdorfer Allee in Bonn in erster Linie dann nicht als Alternative zur öffentlichen Bibliothek, wenn sie aus höheren Einkommensschichten kamen. (s. Pressebericht dazu)

In der deutschen Wikipedia gibt es einen Artikel dazu. Beispiele außerhalb Deutschlands konnte ich nicht finden, bis auf die Aktion der British Telecom ihre Telefonzellen zur Verfügung zu stellen. In der Mailingliste Forumoeb gab es Anfang Dezember 2009 eine kurze Diskussion. Auch hier standen die Buchexperten dem Phänomen ratlos gegenüber und verwiesen auf ihre Beratungskompetenz: „Die diskutable Frage ist nur – „großherzige Leseförderung“ vs. Qualitätsangebot mit Beratung?“ hieß es dort.

Für mich ist es ein weiterer Beleg dafür, dass Bibliotheken nur bedingt etwas mit Büchern zu tun haben.

Payback: perfekte Vermarktung in der alten Welt

Informationsflut oder Logorhroe

Schön, dass sich jemand dieses Themas (Informationsentropie) annimmt. Frank Schirrmacher zeigt uns gleichzeitig, wie Informations- und Kommunikationsmedien (vor allem die klassischen) funktionieren. Und produziert selber Informationsfluten, denn er beherrscht die Klaviatur perfekt. Und darf in allen (wirklich allen: sogar in „Bild“ wird er abgedruckt) sein Buch bewerben. Man muss dabei eben wissen, dass er Chef des Feuilletons der FAZ ist: er als Person ist eine Institution in unserer Rest-Gelehrtenrepublik. Und er schreibt gerne solche Bücher, die sich gut verkaufen. Trotzdem sind mir andere medienwissenschaftliche Reißer wie Neil Postman oder Richard Sennett um einiges lieber.

Dazu gibt es heute eine fast erfrischende Rezension im Berliner Tagesspiegel:

„Payback“ ist das Buch eines Journalisten, der im Angesicht seiner eigenen Überforderung durch den information overload von Internet und Handy in konsequenter Ich-Perspektive dem Leser erklären will, „warum wir im Informationszeitalter gezwungen sind zu tun, was wir nicht tun wollen, und wie wir die Kontrolle über unser Denken zurückgewinnen“. Das Ganze ist im vollen Bewusstsein, dass jedes maschinenstürmerische Ansinnen nur lächerlich wäre, halb kulturkritisches Pamphlet, halb Ratgeber: in der Fülle des ausgebreiteten Materials immer anregend, mit leichter, gedanklich allerdings oft fahriger Hand geschrieben und in der Verengung des Horizonts auf die unmittelbare Gegenwart legitim.

Frank Schirrmacher beschreibt den historischen Wendepunkt, den er in den sich verselbstständigenden Informationstechnologien sieht, mit einer Dringlichkeit, die das bisher nur vage Empfundene begrifflich klar zu konturieren versucht – auch wenn die Klagen über Zerstreuung und Überreizung älter sind als das Netz. Mit Recht fürchtet er ein Lesen, das ins maschinelle Gelesenwerden umschlägt, ein Denken, das uns denkt: den Übergang von Selbstbestimmung zu Fremdbestimmung.

Ob der Rezensent (Gregor Dotzauer) mit seiner Kritik das Buch wirklich treffend beschreibt, werde ich nicht beurteilen können, denn ich werde es nicht lesen, werde ich ggf. bei Living Social in einer Kurzrezension berichten. Ich habe mich doch überreden lassen, es zu kaufen und muss gestehen, dass die Lektüre faszinierend ist. (Nachtrag Jan. 2010)

Vielmehr bringt es mich erneut auf die These von Wayne Wiegand, der von den beiden blinden Flecken der Bibliothekswissenschaft sprach: dem Raum und dem Lesen. Dem Raum haben wir uns mittlerweile schon etwas gewidmet, aber wie Lesen in und mit Informationsinfrastrukturen funktioniert, ist weder erforscht noch benennbares Thema: vielmehr kann man einfach vom „maschinellen Gelesenwerden“ sprechen. Die Rede von der Informationsflut ist so alt wie die Information selbst – wenn man so sagen darf. Jedes Zeitalter hat seine Medien und seine spezifischen Informationsfluten, und jedes Mal gibt es Personen des alten Paradigmas, die den Verlust der Informationskultur ja der Welt überhaupt beklagen. Die Klage über die Informationsflut: ein Generationenproblem?

(Immer noch lesbar: Wiegand, Wayne A. (1999): Tunnel Vision and Blind Spots. What the Past Tells Us about the Present; Reflections on the Twentieth-Century History of American Librarianship. In: Library Quarterly, Jg. 69, S. 1–32.)

Nachtrag 1.2.2010: Sehr schöner Kommentar im Blog „Indiscretion Ehrensache“ von Thomas Klüver.

Jahr der Kreativität und Innovation

Wie viele Themen ein Jahr bieten kann. Neben dem Jahr der Astronomie gibt es dieses Jahr auch das Europäische Jahr der Kreativität und Innovation. Letzte Woche startete dies mit einer ersten Veranstaltung ausgerechnet zum Thema: Wissensgesellschaft. (Wie sehr doch diese Begriffe immer strapaziert werden müssen!) Die deutschen „Botschafter“ dieser EU-Inititiave sind der Erfinder des MP3 Algorithmus (Brandenburg) und ein Typograph.

Auf den „deutschen Internetseiten des Jahrs“ sind einige interessante Initiativen versammelt. Darunter nicht nur die klassischen „Geschäftsidee-Startup-Businessplan-Wettbewerbs-Sammelverfahren“, sondern auch in der Tat Kulturelles wie der Lese-Start und der Kompetenznachweis Kultur.

Symbolisch: kein Lesen mehr im ZDF, dafür aber in Bibliotheken?

In Zeiten der Krise wird vieles symbolisch: der gestrige Tag der Bibliotheken bietet sich an: in allen Zeitungen wurde fleißig bieder über die Kampagne „Deutschland liest“ berichtet und gleichzeitig (am Rande) noch Nachlese betrieben zum Bildungsgipfel. Einhellig ist die Meinung, dass es kein Gipfel war, sondern eine Schlucht. Auf dem „Gipfel“ wurden die eigentlichen Probleme der Bildung gar nicht angesprochen: genauso wenig wie man in der Berichterstattung zum Tag der Bibliotheken: „Deutschland liest“ mit dem Phänomen Bildung in der deutschen Gesellschaft umgehen kann. Was Bildung heißt und wo diese heute wirklich stattfindet machen unsere zwei Bildungsmatadore deutlich: Elke Heidenreich und Marcel Reich-Ranicki. Das Ergebnis: im ZDF findet künftig kein „Lesen“ mehr statt.

Aus persönlicher Perspektive kann ich noch hinzu fügen, dass auch die Bibliothekswissenschaft sich nicht am Tag der Bibliotheken beteiligt. Bildung ist nicht wirklich gefragtes Thema: wir beschäftigen uns (gezwungenermaßen) im Studiengang Bibliotheksmanagement eher mit E-Science und Datenmanagement als mit so gesellschaftlich komplizierten Dingen wie Bildung und Lesen. Von der Wissenschaftspolitik wird nur Schickes und Cooles gefördert. Auch wenn keiner es versteht, denn Lesen kann ja schließlich jeder – vor allem Minister – da braucht man weder Förderung noch Forschung – und schon gar nicht Professuren.