Jubiläum

Screenshot aus der Wayback-Machine ca. 1997: www.fh-potsdam.de/~hobohm

Heute vor 25 Jahren betrat ich dieses surreale, ja kafkaeske Universum des deutschen Fachhochschulwesens. Ich hatte zwar u.a. Erziehungswissenschaften studiert. Mir war aber nicht klar, dass ich besser ein Referendariat an einer Berufsschule sowie zusätzlich meine eigenen Rahmenlehrpläne und eigenen Lehrbücher hätte mitbringen müssen. Mich hatte natürlich der Professorentitel und die (vermeintliche) Aussicht, unabhängige Wissenschaft betreiben zu können, aus einer deutlich besser gestellten Position an die Fachhochschule gelockt.

Mit nicht nachlassender Verwunderung betrat ich auch von außen kommend das Feld der Bibliotheken und der (deutschen) Bibliothekswissenschaft. Meine ersten Texte in der Position:

  • Hobohm, Hans-Christoph (1997): Auf dem Weg zur lernenden Organisation. Neue Managementkonzepte für die Digitale Bibliothek. In: Bibliothek. Forschung und Praxis 21, S. 293–300. DOI: 10.1515/bfup.1997.21.3.293.
  • Hobohm, Hans-Christoph (1997): Vom Leser zum Kunden. Randbedingungen der Nutzerorientierung im Bibliotheksbereich. In: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 44, S. 265-280.

und die ersten von mit betreuten (mittlerweile über 300) Diplomarbeiten wie:

  • Wilmsmeier, Silke (1999): „… und was haben die Benutzer davon?“ – Kundenorientierung im Bibliotheks- und Informationswesen. In: Bibliothek. Forschung und Praxis 23 (3), S. 277–317. Online verfügbar unter https://doi.org/10.1515/bfup.1999.23.3.277.

halte ich immer noch für aktuell, weil vieles davon noch immer nicht realisiert ist. Vieles würde ich heute genauso schreiben. Interessant aber auch wie sich dennoch manche unterliegenden Paradigmen geändert haben.

Die breite Palette an professoralen Aktivitäten wie Studiengangentwicklungen (Bibliotheksmanagment (BA), Informationswissenschaften (MA), Zertifikatskurse, Fernweiterbildungen), akademischen Selbstverwaltungen (Prüfungsausschuss, Fachbereichsrat, Studiengangleitung(en), Dekaneamt, Senat, Klausurtagungen etc.), Drittmittelprojekte (DFG: b2i, AKIB, Datacreativity, Copal, ALMPUB), Verbandsarbeit (IFLA, SLA, ASpB, KIBA, HI), Tagungsorganisation (Dokumentartag, Inetbibtagung, EUCLID, IFLA 2003, Stadt der Ströme, ISI2013), Lobbyarbeit (Zukunftswerkstatt, Übersetzung von Lankes und Verbreitung), die sich in dieser Zeit entfaltet haben, waren bestimmt nicht immer langfristig erfolgreich im Einzelnen (s. Abwicklung von b2i). Aber zumindest brachten sie reichhaltige Erfahrungen und entsprachen in der Summe immer dem, was mein Credo war und ist: für die eigene Aufgabe und Institution stehen und für die Community über den Tellerrand schauen zur „Verbesserung der  Gesellschaft“ 😉 . Auch wenn die Community das nicht immer hören mochte oder verstand.

Nach diesen 25 Jahren sieht es gemischt aus: einerseits erleben Bibliotheken z.Zt. einen Boom, wie ich es damals nicht erwartet hätte. Andererseits sehe ich kaum Aufschwung (trotz eigenem Vorschlag) einer LIS in Deutschland, an den ich immer geglaubt hatte. Ich denke aber, dass ich an meiner Stelle als FH Prof stets den mir möglichen kleinen Teil dazu beigetragen habe. Mehr ging und geht nicht als Einzelkämpfer und Allrounder an einer so kleinen Fachhochschule, deren Schwerpunkt eben doch die 18 ++ Semesterwochenstunden Lehre sind. Aber gerade diese hat in ihrer stets ungebremsten Dynamik immer das meiste ausgemacht: ich habe praktisch alle bibliothekarischen und informationswissenschaftlichen Fächer unterrichten und in Abschlussarbeiten betreuen dürfen (bis auf Formalerschließung, es gab Phasen da bestand der Bibliotheksstudiengang nur aus mir und einer halben weiteren Kollegin):  Bibliotheksmanagement, Bibliothekstypologie, Erwerbung und Bestandsaufbau, Datenbanktheorie, (verbale) Sacherschließung, Klassifikationstheorie, automatische Indexierung, Datenbankaufbau, Auskunftsinterview, Informationsvermittlung inkl. Retrievalschulung, Nutzerschulung, Referenzmedien, Bibliotheksbau, IT Grundlagen, IT Netzwerkgrundlagen, Grundlagen VWL und BWL, Informationsgesellschaft, Kulturelles Erbe, HTML, Websitebuilding, Digitale Bibliotheken, internationales Bibliothekswesen, Usability Forschung, Informationsverhaltensforschung, Wissensmanagement, Moderationstechniken, Konferenzorganisation, Social Media, Öffentlichkeitsarbeit, Businessdevelopment, Innovationsmanagement, Forschungsmethoden, Wissenschaftssoziologie, Informations- und Datenqualität, Archivische Bewertung, Theorien der Informationswissenschaft, you name it. In der Fülle und Variation fühlte es sich zwar manchmal wie Dilettieren auf hohem Niveau an: es brachte aber einen enormen, „inner“-disziplinären Überblick, den ich auch menschlich nicht missen möchte.

Ich danke allen Mitstreitern, denen ich auf der nehmenden oder auf der gebenden Seite viel verdanke. Allen voran meinen IFLA Officers in der Anfangszeit, aber auch den Youngsters der Zukunftswerkstatt und von LIBREAS, dem intensiven, Augen öffnenden Innovationskolleg der Hochschule oder letztlich den so erfrischend wissenschaftlichen nordischen Kollegen. Häufig habe ich als Prof eher die Senior-Position eingenommen und versucht, aus der zweiten Reihe zu fördern. Das hat in vielen Fällen ja auch bis hin zu einer Reihe von Preisen für meine Absolventen gut funktioniert (ohne dass viel Aufhebens darum gemacht wurde).

Ich danke aber auch für die oft erfahrene unvoreingenommene Aufnahme in universitären Kollegenkreisen verschiedenerer wissenschaftlicher Beiräte oder im direkten Kontakt der Bibliotheks- und Informationswissenschaft. Ohne das nicht nachlassende Vertrauen von Konrad Umlauf (HU Berlin) in vielen Kooperationen (Zertifikatskurse, Dashöfer Handbuch oder Lexikonentwicklung LBI etc.) wären die 25 Jahre nicht so fruchtbar und fachlich spannend gewesen – auch wenn „das erste Buch“ noch immer erschienen ist.