„New Librarianship“ in Deutschland angekommen!?

In der aktuellen Ausgabe von „BuB. Forum Bibliothek und Information“ 69 -07/2017 (S.400-403) beschreibt David Lankes sein Konzept des New Librarianship in einer sehr prägnanten und überzeugenden Form. Es erspart dem interessierten Leser zwar sicher nicht, seinen „Atlas of New Librarianship“ (MIT 2011) durchzuarbeiten um die Stringenz und innere Begründung seines Ansatzes wirklich zu verstehen. Aber es ist ein wunderbarer Einstieg in die neue Definition bibliothekarischer Arbeit. Anders als in seinem Buch „Expect more“ („Erwarten Sie mehr. Verlangen Sie bessere Bibliotheken für eine komplexer gewordene Welt“ deutsche Übersetzung herausgegeben von mir, vgl. meinen Blogpost vom Januar diesen Jahres) richtet sich der Artikel an die Bibliothekare selber (und nicht an die Unterhaltsträger).

Er räumt hier deutlich mit der Vorstellung auf, information professionals seien nur für Dokumente (Artefakte) zuständig. Er definiert die Berufsgruppe – wie man jede andere definieren kann – mittels „Auftrag, Vorgehensweise und Werten“ und kommt zu der Überzeugung, dass

Der Auftrag des Bibliothekars besteht darin, die Gemeinschaft zu verbessern, indem er die Wissensbildung in der Gemeinschaft erleichtert. Vereinfacht ausgedrückt könnte man sagen, dass der Bibliothekar sich bemüht, die Gemeinschaft dabei zu unterstützen, klügere Entscheidungen zu treffen. (S.401)

Das Vorgehen des Bibliothekars dabei ist die Ermöglichung des Zugangs zu Ressourcen und „Dialogen“ (sic), die Erweiterung des Wissens durch Dialog und durch die Sicherstellung von Umfeld und Lernmotivation. Interessant sind vor allem die Antworten auf die im Artikel eingangs gestellten aktuellen Fragen:

  • auf die immer wieder gestellte Frage, ob Bibliothekare programmieren müssen erhalten wir die Antwort: nein, aber wir müssen Technologiepolitik verstehen.
  • Sind Bibliothekare neutrale Multiplikatoren von Wissen und können wir angesichts von Fake News objektiv bleiben? Ebenso ein klares „nein“, denn „unser Ziel ist es, das Leben der Menschen zu verbessern“ und auf die Frage, welche Rolle Bibliothekare angesichts drängender gesellschaftlicher Probleme einnehmen sollen, antwortet Lankes:
  • die Funktion des Bibliothekars [ist es], die divergierenden Ansichten der Gemeinschaftsmitglieder zu den kon-troversen Themen, mit denen diese sich konfrontiert sehen, miteinander in Einklang zu bringen und so eine gemeinschaftliche Grundlage für gegenseitiges Verständnis zu schaffen. (S.403)

Im gleichen Tenor sein überaus positives Fazit:

Das Ziel des Bibliothekswesens bestand nie darin, sämtliche Dokumente und Informationen der Welt anzuhäufen, sondern zu erkennen, was benötigt wird, um die Bedürfnisse einer Gemeinschaft zu befriedigen. Heute, angesichts des exponentiellen Anwachsens von Datenspeichern, einer unvorstellbaren Diversifizierung von Medien und, offen gesagt, eines sich auflösenden sozialen Gefüges, werden Bibliothekare mehr denn je benötigt. S.403)

Leider geht der Aufsatz in einer Reihe ähnlicher Texte zur „Identität der Bibliothek“ (so der Heftschwerpunkt) etwas unter und verliert seine Wirkung. Ärgerlich an dem Text ist allerdings, dass es keinen Hinweis gibt auf die Originalfassung (ein Vortrag auf einer norwegischen Konferenz), keinen Hinweis gibt auf das jüngst auf deutsch erschienene Buch (s.o.) und dass die Übersetzung nicht von ausgeprägtem Fachverstand geprägt ist (living libraries werden mit „menschliche Bibliotheken“ übersetzt und „Frenddatenübernahme“ bleibt „copy-Katalogisierung“. Auch über die Übertragung von facilitating knowledge creation kann man sich streiten, so wie wir es in einem aufwändigen Prozess bei der Herausgabe von Erwarten Sie mehr getan haben. Es ist sicher nicht einfach, einen Fachtext zu übersetzen und Übersetzer wissen, dass es nicht auf die Sprach-, sondern auf die Fachkenntnis ankommt. Erdmute Lapp, Willi Bredemeier und ich hatten zusammen mit der Verlegerin gehofft, den deutschen Standard zu setzen für das komplexe Terminologie-Universum des „New Librarianship“. Der fehlende Hinweis auf die Quelle des Textes und auf das deutsche Buch ist mit Sicherheit nicht dem Autor anzulasten, sondern passt leider in das schwierige Selbstverständnis unserer Community. (Ich frage mich, ob wir so wirklich die Welt retten können.)

Vielleicht ist also das kleine Buch von Lankes doch nicht nur an die Unterhaltsträger gerichtet. Vielleicht sollte es doch neben einer Einführung zum wissenschaftlichen Arbeiten und der DFG Empfehlungen zur guten wissenschaftlichen Praxis auf dem Nacht-Tisch eines jeden Bibliothekars liegen. Der Atlas wäre wohl zu schwerer Tobak.

Der besprochene Artikel:

Lankes, R. David (2017): New Librarianship. Warum wir eine Wissensperspektive brauchen. In: BuB. Forum Bibliothek und Information 69 (7), S. 400–403.

Das nicht erwähnte Buch:

Lankes, R. David (2017): Erwarten Sie mehr. Verlangen Sie bessere Bibliotheken für eine komplexer gewordene Welt. Hrsg. und mit einem Vorwort von Hans-Christoph Hobohm. Unter Mitarbeit von Erdmute Lapp und Willi Bredemeier. Übers. von „Expect more“ 2. Aufl. 2016. Berlin: Simon Verlag für Bibliothekswissen (Reihe Bibliotheksforschung).

3 thoughts on “„New Librarianship“ in Deutschland angekommen!?

  1. Jochen Dudeck

    Lieber Herr Hobohm,
    auch in anderer Titel wurde nicht erwähnt, nämlich der gut zugängliche „(The) New Librarien Field Guide“, im letzten Jahr erschienen ist und von mir im diesjährigen Januarheft von BuB besprochen wurde (vielleicht mehr schlecht als recht, aber immerhin). Ich halte ihn für wesentlich zugänglicher als die „Schwarte“. Das Problem bei Lankes und anderen ist, dass seine Ansätze erst in den hiesigen bibliothekarischen Alltagsdiskurs „übersetzt“ werden müssen, um überhaupt rezipiert zu werden. Manches ist einfach, „Mitglieder“ statt „Kunden“ ändert schon mal die Perspektive, anderes wie sein Verständnis von „knowledge“ ist erst einmal schwer nachvollziehbar. Für diese „Übersetzungsleistung“ würde ich gerne die Bibliothekswissenschaft in die Pflicht nehmen. Auf Ihren Folien tauchen z.B. auch Hartmut Rosa oder Felix Stalder auf. Deren kritischen Ansätze, ob „Steigerungsdispositiv der Weltreichweite“ oder „Postdemokratie versus Commons“ ließen sich durchaus fruchtbar machen, müssten aber erst einmal auf Praxisdiskurse (oder vielleicht alltagstaugliche) runtergebrochen werden. Wer soll das tun? (Das gilt übrigens auch für die Medienwissenschaften. Man benötigt erst Sprachkenntnisse in „Luhmann“.) Die Sterilität der gegenwärtigen Identitätsdebatte resultiert m.E. auch aus einer gesellschaftspolitischen Blindheit wichtiger Akteure. So wird Managementhandeln zur Leittheorie. Unternehmensberaterinnen machen dann Bibliothekspolitik, was ja im neuesten Heft nachzulesen ist. Dem wäre abzuhelfen!
    Viele Grüße nach Potsdam
    Jochen Dudeck

  2. Hans-Christoph Hobohm Post author

    Lieber Herr Dudeck,

    ich freue mich sehr über Ihren Kommentar. Können Sie mir verraten, wer die Bibliothekswissenschaft in Deutschland ist, die Sie in die Pflicht nehmen wollen? Meine Enttäuschung über die mangelnde Unterstützung der Fachkommunikation (BuB) bei der Überführung neuer Konzepte nach Deutschland, entzündet sich ja gerade daran, dass ich mit den wenigen Urlaubstagen, die ich habe, versuche internationale Ansätze ins Deutsche zu übertragen. (Der Field Guide ist noch nicht auf Deutsch, oder?) Bevor wir deutsche Soziologie ins Normaldeutsch übertragen, könnte man, so dachte ich, damit anfangen internationalen Pragmatismus (Dewey u.a.) überhaupt erst ins Deutsche zu übersetzen. Ich sehe es ja hier bei „meiner“ Landesfachstelle: da kann keiner ein Wort Englisch, geschweige denn Skandinavisch, obwohl es die Aufgabe, wäre Strategie- und Konzeptionsarbeit zu leisten.
    Gruß zurück in den Norden!
    Hans-Christoph Hobohm

  3. Jochen Dudeck

    Lieber Herr Hobohm!

    Ich hoffe, Sie haben da keinen Vorwurf gehört. Man hofft als kleiner Provinzbibliothekar halt, dass es da draußen „oben“ jemanden gibt, der eine substantielle Debatte anschieben und begleiten kann. Es gibt leider keinen „Ort“ im weitesten Sinne, an dem so ein Austausch zwischen Theorie und Praxis laufen kann. Mit #bibchat wird ja mal wieder versucht überhaupt ins Gespräch zu kommen, aber das Format eignet sich schlecht für vertiefte Auseinandersetzungen. So „wurstelt“ man halt weiter, immer und gerade jetzt eine dumme Idee. Ich habe vor eineinhalb Jahren mal auf einer gut besuchten Schulbibliothekstagung (ekz & HAW) gefragt, wer denn das Wochen vorher erschienene KMK-Papier zur Bildung in der digitalen Welt gelesen hätte (das es ja für uns in sich hat). Absolut niemand. Ich habe dann zweimal auf unterschiedlichen Foren versucht, irgendeine Debatte zu starten. Null Resonanz. Sie sehen also, auch ich bin ziemlich ernüchtert.

    Als denn, ich wünschen Ihnen einen erholsamen Sommer!
    Ihr Jochen Dudeck

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