Transatlantischer Informationsaustausch zur LIS Ausbildung

Roundtable 16. Mai 2007 in Québec
Auf Einladung des Goethe Instituts Montréal wurde auf der Vorkonferenz zum aktuell laufenden Jahreskongress CBPQ in Kanada (s. vorheriges Posting) über die Entwicklungen der europäischen LIS Ausbildung diskutiert. Vielen Anwesenden war der Bologna Prozess in Europa noch nicht wirklich bekannt, und es war interessant und wichtig, die Strukturen der Berufsfelder und ihrer Ausbildungen hüben und drüben genauer zu vergleichen.

Anne-Marie Bertrand, neue Direktorin der ENSSIB, Frankreich (links im Bild), beschrieb die europäischen Entwicklungen als positiv in Richtung auf einer Öffnung in den Berufsfeldern aber auch über Ländergrenzen hinweg: „La fin du petit village gaulois“ (Das Ende des gallischen Dorfs“: der Moderator der Session, Jean-Michel Salaün (Mitte des Bildes) , präsentierte Sie deshalb auch als Anne-Marie Bertrix.). In Ansätzen meinte sie dabei sicher auch ihre eigene Institution und die starren Strukturen der französichen Laufbahnen insgesamt. ENSSIB bietet nunmehr neben dem klassischen „Diplôme du Conservateur de Bibliothèque“ [schon der Berufstitel ist Programm] jetzt auch (demnächst) einen Master als Doppeldiplom an. Der Master ist ein gemeinsames Programm mit der Ecole Normale Supérieure, die üblicherweise Lehrer ausbildet aber auch im weiteren geisteswissenschaftlichen Bereich in Forschung und Lehre etabliert ist. Eine konkrete pädagogische Ausrichtung wird der neuen Master mit dem Titel „Livre & Savoir“ (Buch und Wissen) deshalb nicht haben. Diese ersten Schritte einer Öffnung der etwas elitären Institutionen Frankreichs ist schon bezeichnend.

Ich hatte das Vergnügen einmal wieder über Certidoc und Euclid sprechen zu können und die komplexe Situation der Ausbildungsreformen in Deutschland zu erläutern. Ich denke, es gab eine Reihe Aha-Effekte im Publikum, aber auch auf dem Podium. Nur durch explizite Darstellung der Strukturen kommt man zu einem Verständnis der Differenzen und Gemeinsamkeiten. Deutlich wurde z.B., dass es auf der anderen Seite des Teichs kaum information professionals gibt, deren Ausbildung mit denen unseres ehemaligen Diplom- und jetzt Bachelor-Niveaus vergleichbar sind. Das Berufsleben in den Informationsberufen fängt hier erst im „höheren Dienst“, d.h. nach einem Master Studium (MLIS) an. Mit ähnlichen Nebeneffekten wie bei uns, dass alle die „darunter“ im Informationsbereich arbeiten, von den „professionals“ nicht wahrgenommen werden. Auf großes Interesse stieß natürlich auch die FAMI-Ausbildung in Deutschland und die Möglichkeit der europäischen Personenzertifizierung mit Certidoc. Ganz besonders deutlich wurde immer wieder die große Bedeutung der Akkreditierung der Abschlüsse durch den Berufsverband ALA. Ein Master der nicht von der ALA akkreditiert ist, ist komplett wertlos – auch in Kanada. Dies hat den Vorteil, dass die Ausbildungs- und Abschlussstrukturen übersichtlicher sind als in Europa. Dies hat aber auch den Nachteil, dass die Ausbildung immer auf den „Good-Will“ der Praxis angewiesen ist. So gibt es z.B. Bestrebungen zu noch größerer Integration von A, B, D und „Museum“ bei den großen Bibliotheksschulen in USA (Chicago, Syracus, Michigan etc.), die von der ALA offensichtlich überhaupt nicht begrüßt werden.

Auffällig ist, mit welcher Leichtigkeit auch die Frankophonen von „LIS“ (auch so ausgeprochen!) reden. Und zwar mit der Bedeutung „science“ und nicht „studies“. Die Integration, die bei uns noch so umstritten ist, gehört hier nach US-amerikanischem Vorbild zur Alltagssprache!

Yolande Estermann (HEG Genf) berichtet in Ihrem Vortrag, dass die Entwicklung des neuen gemeinsamen Masters (zusammen mit der EBSI in Montréal) genau die Kompetenzstruktur des Eurorérentiel zum Ausgangspunkt genommen hat. Auf der Table Ronde wurde das Ergebnis der Vereinbarungen in der vorhergehenden Woche zum ersten Mal präsentiert und berichtet, dass es gelungen ist, einen kanadisch-schweizerischen Master zu kreieren, der den doch recht unterschiedlichen Strukturen gerecht wird. Es ist damit der erste Master in LIS in der Schweiz. Die besondere Herausforderung für die Entwicklung des neuen Studienangebots war, dass der kanadische Master nicht-konsekutiv ist, während der Genfer Master konsekutiv ist, d.h. auf einem drei-jährigen LIS Studium aufsetzt.

Anna Maria Tammaro (ganz rechts im Bild) berichtete von den frischen Ergebnissen einer IFLA Studie zu der Frage wie LIS Studienangebote evaluiert werden. Sie kommt zu dem nicht überraschenden Ergebnis, dass die meisten Library and Information Schools Evaluationsmethoden verwenden, die Programme, Ressourcen und Studentenzahlen als Indikatoren verwenden, während die wenigsten konkrete student assessments nutzen. Fazit ist aber, dass hier eine bessere Übersicht, ggf. im Sinne eines Benchmarking notwendig ist, auch z.B. um für internationale Kooperationen Vertrauen zu schaffen. Hier ist ein Umbau vom einer Input Orientierung zu der Analyse der Learning Outcomes, bzw. zur Lernzielanalyse wichtig und zum größten Teil noch zu leisten.

3 thoughts on “Transatlantischer Informationsaustausch zur LIS Ausbildung

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  2. Frau M.

    Guten Tag Herr Hobohm,

    dieser Beitrag aus dem Jahr 2007 liest sich sehr interessant.
    Mich persönlich interessiert, ob es auch Zahlen zu europäischen Absolventen der LIS-Studiengänge gibt.
    Deutschland misst vieles, aber über das Ausland und die Integration sowie Akzeptanz des Bologna-Prozesses der kooperierenden Länder findet man schwer etwas.

    Mit freundlichen Grüßen

    M. Meinen

  3. Hans-Christoph Hobohm Post author

    Hallo Frau M.

    mir ist auch leider nichts derartiges bekannt. In der allgemeinen Hochschulstatistik gibt es immer wieder eine Reihe von Zahlenwerten, richtig. Aber unser Problem ist, dass wir als kleines Fach stets aus den Clustern herausfallen. Eine Gesamtübersicht über alle Absolventen im LIS Bereich wäre einmal eine Studie wert!

    Freundlichen Gruß nach Köln

    HC Hobohm

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