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Diskursanalyse in der Geschichtswissenschaft

„Très chic“ titelte Oliver Jungen seinen Bericht in der FAZ vom 1.4. über eine Tagung an der Uni Düsseldorf. Die „Internationale Tagung zum Stand der Diskursanalyse in den Geschichtswissenschaften“ – „Diskursiver Wandel“ versammelte die junge Generation der Historiker, die – wie Jungen schreibt –  anders als die „Altvorderen“ Wehler, Evans u.a. nun auch in Deutschland die Foucaultsche Diskursanalyse für die Geschichtswissenschaft entdeckt haben. Die Tagung war sehr gut besucht von den „schwarz gekleideten“ jüngsten Fans von Michel Foucault. Der Tagungsbericht zeigt ein buntes Bild dessen, was z.Zt. unter Diskurs verstanden wird und der FAZ Kommentar dazu weist zurecht auf die Beliebigkeit dieses Begriffs hin, der oft eher Motiv-  und Begriffsgeschichte hervorbringt als die machtanalytische Diskurskritik Foucaults.

Dennoch macht dies auf zweierlei aufmerksam: wie langsam Deutschland in der Aufnahme großer internationaler Trends ist (Foucault ist schon wieder ziemlich out in den USA) und dass eine Art Diskursanalyse dennoch im Begriff ist, Mainstream der Geschichtswissenschaft zu werden. Wenn man sich allerdings genauer anschaut, wie diese „neue“ Geschichtswissenschaft betrieben wird, kann man anfangen, sich ernsthafte Sorgen darüber zu machen, ob denn genügend und die richtigen Informationsquellen für eine Diskursanalyse für die zweite Hälfte der 20sten Jahrhunderts zur Verfügung stehen werden.

Wie auch bei der Präsentation der Zukunftswerkstatt im Münzsalon letzten Mittwoch in Berlin eine Zuhörerin die anwesenden Bibliothekare fragte, warum denn nur Bücher digitalisiert würden – sie meinte, warum nicht auch die digitale Informationsmedien, mit denen jetzt die meisten „Kulturschaffenden“ fast ausschließlich arbeiten, nicht auch in den Digitalen Archiven und Bibliotheken vorgehalten und gesichtert würden.

Auf den Berufungsvorträgen zu unserer archivwissenschaftlichen Eckprofessur letzte Woche wurde mir als Nicht-Archivar (aber Sozialhistoriker) deutlich, dass die Art Material, die ich nutzen konnte zur Diskursanalyse des 18. Jahrhunderts (Prozessdokumentationen der staatlichen Zensurbehörden in Paris) ab Einführung der EDV in den Verwaltungen in der Mitte des 20. Jhds. nicht mehr möglich sein wird. Nicht weil die Daten physisch verloren gehen („digitaler Papierzerfall“), sondern vor allem, weil es keinen gibt, der die seit 30 Jahren angewandten, elektronischen „Fachverfahren“ dokumentiert / sichert. Nicht Zerfall der Informationsträger, sondern Zerfall der Institution – oder fehlende Ausdifferenzierung: aufgrund der GEschwindigkeit der Entwicklung noch (?) fehlende neue Institutionen. Archivare und Bibliothekare sollten wohl doch mehr selber fachwissenschaftliche Forschung betreiben, damit sie verstehen, was sie dokumentieren müssen.

Wieder einmal sieht man dabei, dass Information ziemlich wenig mit Informationstechnik zu tun hat, sondern eher der „Balken im Auge“ ist. Und in diesem Sinn bin ich recht froh, schon zur älteren Generation zu gehören. Nur meinen Sohn bedauere ich.

DINI Tagung: Virtuelle Forschungsumgebungen

DINI Logo

Ich hatte ja schon getwittert zur DINI-DFG Tagung Virtuelle Forschungsumgebungen letzte Woche. Jetzt durchforste ich noch mal meine Papiernotizen und möchte meinen Gesamteindruck noch mal zusammenfassen.

In seinem Einführungsvortrag hatte Prof. Schirmbacher ein paar Ausgangstexte und Literaturstellen zitiert, die ich ja auch gleich live bei delicious hinterlegt habe. Besonders beeindruckt hatte ihn: Michael Nentwichs Text zu Cyberscience aus dem Jahre 1999. Meine Lektüre des Textes auf dem Nachhauseweg von Adlerhof nach Potsdam (auf dem Smartphone: hat mir fast die Augen verdorben), ernüchterte mich etwas. Ein „Must-Read“, wie Schirmbacher sagte, ist der sicher interessante Text vor allem wegen der Grafiken und wegen seines frühen Publikationsdatums. (MPIfG Working paper 99/6)

Als Sozialwissenschaftler aus dem Bereich der Wissenschafts- und Technikfolgenforschung beschreibt er sehr klar den Wissenschaftsprozess in seinem Schaubild 1. Hier hat sich auch unter digitalen Bedingungen nichts geändert:

Die Veränderungen, die er postulierte (1999), beschreibt er in einer etwas komplexen Tabelle:

Als ganzes ist dr Text aber eben vor allem historisch interessant – wenn auch tatsächlich noch gut lesbar. Nentwich hat schließlich 2003 dann ein ganzes Buch dazu geschrieben.

Quintessenz des Vortrags von Schirmbacher war aber vor allem, dass VFU (virtuelle Forchungsumgebungen, oder vulgo: E-Science) nix wirklich neues ist. Die meisten Dinge sind schon von der NSF in den Jahren 2002/2003 angelegt worden (Vgl. die Reports dort). Europa und vor allem Deutschland kommen dann mit dem üblichen Verzug von ca. 5 Jahren hinterher, obwohl die Praxis z.B. durch die Web2.0 Technologien eigentlich schon weiter ist. Er verwies in diesem Zusammenhang auf die Erkenntnis, dass von den ca. 8000 Kursen im E-Learning-System Moodle der HU Berlin ein ganzes Drittel gar keine Lehrveranstaltungen, sondern Projektgruppen oder institutionelle Arbeitsumgebungen seien. In anderen Ländern (und Zeiten) spricht man hier also von Cyberinfrastructure, E-Infrastructure, E-Research und es wird immer deutlicher, dass E-Science immer weniger mit Gridtechnologie zu tun hat (wie das BMBF ursprünglich geplant hatte), sondern eher eine soziale Frage der Kooperation zwischen Wissenschaftlern ist.

Dies wurde dann auch deutlich bei einzelnen Projektvorstellungen im Laufe der Tagung: ein klassisch datenlastiges Projekt (Andreas Hense, FH Rhein Sieg) aus dem Bereich der Klimaforschung sprach plötzlich vom Münchner Modell des Wissensmanagements und zeigte interessante Schaubilder, warum gerade diese „weiche“ für die meisten Informatiker sonst unverständliche Form des Wissensmanagements besonders wichtig ist für die Community of Practice der Meteorologen….

Die vorgestellten Projekte der DFG in diesem Programm überzeugten nicht alle. Interessant war zu beobachten, wie oft die DFG betonte, dass die Anträge auf Förderung in der zweiten Tranche nur Aussicht auf Erfolg hätten, wenn sie wirklich kooperativ von Wissenschaftlern und Infrastruktureinrichtungen gestellt würden. Der Programmvorläufer „Themenzentrierte Informationsnetze“ hatte ja leider wenig nachhaltige reine Wissenschaftscommunity-Projekte gefördert. Unser Versuch mit b2i hier eine virtuelle, kooperative Forschungsumgebung zu etablieren wurde ja nicht verstanden, damals… (2002)