Tag Archives: Sammeln

lost films: Mitunter sind die Archivare selbst das Problem (?)

Telepolis greift das Thema passend zur Berlinale auf:

Das Wissen um unser filmisches Erbe ist zufällig und fragmentarisch
Experten schätzen, dass bis zu 90% aller Stummfilme verloren sind. Bei Tonfilmen sieht es besser aus, aber die Verlustrate ist immer noch erschreckend hoch. Die EU will erreichen, dass gar nicht erst verloren wird, was später mühsam gesucht werden muss. Deutschland will wenigstens die Filme wiederfinden, von denen man weiß, dass es sie einmal gegeben hat.

Der hier zitierte Zwischentitel ist allerdings irreführend. Eigentlich verweist er nur auf die Breite der Thematik. Hier gilt es, über die Disziplingrenzen hinweg zur Zusammenarbeit zu kommen. Der Direktor des Filmmuseums Berlin, Rainer Rother, hatte in DIE WELT eine Pflichtexemplarabgabe für Filme gefordert. Ob nicht das Deutsche Nationalbibliotheksgesetz dies doch schon abdeckt? („körperliche und unkörperliche Medienwerke“) Es ist also weder ein museales noch ein archivarisches Thema…

Passend dazu verweise ich auf die aktuelle Pressemitteilung der FH Potsdam 😉 – mit dem Titel: „Vorbeugung von Datenverlusten“. Vgl. auch: Lost-films.eu

Librarian Action eine Utopie?

Nancy Pearl

Ich habe mir endlich die Deluxe Ausgabe der Librarian Action Figure gegönnt – zumal Nancy Pearl im Oktober nach Berlin/Potsdam kommen wird und ich mir sie dann im Original ansehen kann. Während die ursprüngliche Figur ohne Kontext kam (the context that unruly beast, Brenda Dervin), hat die neue Version (und offensichtlich gibt es nur noch diese) eine Zusatzausstattung, die deutlich machen soll, wofür sie steht: “

Deluxe Nancy Pearl LIBRARIAN ACTION FIGURE comes with Library Backdrop, Book Truck, Books, Reference Desk and Computer

Wenn das nichts ist. Und so sieht sie jetzt aus:

Nancy Pearl with her background

ihr schickes blaues Dress ist jetzt rot geworden, ihre Brille moderner. Aber Psst! macht sie noch immer! (Hier eine größere Version des Bildes: Nancy Pearl). Auf der Verpackung ist zu lesen, dass sie die Initiatorin der Aktionen „eine Stadt liest ein Buch ist“ (vgl. auch „Potsdam liest ein Buch„). Sie ist also nicht nur das Modell für diese hübsche Ironie-Figur, die die amerikanischen Bibliothekare so lieben. Sie ist bekannt für ihr außerordentliches Engagement für Lesen und Literatur – eine Elke Heidenreichs der USA vielleicht – nur dass Elke Heidenreich nicht auch noch leitende Bibliothekarin ist. In dem Sortiment der Figur kommt auch eins ihrer eigenen Bücher mit: auf dem Bild meiner Szene hält sie „More Book Lust“ in der linken Hand.

Continue reading

LIS in Potsdam: erst ein Jahr dabei

LIS in Potsdam Layout vor einem Jahr

Am Anfang sah es anders aus: das Weblog LIS in Potsdam. Aber nicht sehr. Seit dem 26. Mai letzten Jahres frisst dieses Web-Monster meine Zeit. 170 posts seitdem sowie 93 comments und 28 categories.

In manchen Fällen hat es sich in der Tat als das herausgestellt, als das es gedacht war. Manchmal wundere ich mich aber immer noch wie wenig Studenten (auch online) lesen. Andererseits ergaben sich aber wirklich auch soziale Vernetzungen mit diesem Medium.
Wesentliches Ergebnis dieses Experiments ist vor allem das jedes Schreibens: nur über die eigene Bearbeitung eines Themas, die gedankliche Zusammenfassung lernt man wirklich.

Vielfach habe ich hier publiziert, auf eine Art und auch Frequenz, in der ich sonst nicht hätte publizieren können. Auch der Stil dieser Textsorte ist immer noch anregend.

Deutlich unterscheidet sich dieses Medium von anderen Web2.0 Anwendungen. Zum bookmarken eignet es sich z.B. nicht so sehr – aber doch zum inhaltlichen Sammeln von Themen, die sich dann in einem Wiki noch weiter kristallisieren – sofern die Zeit bleibt.

Wichtig aber auch gerade heute wieder die Bestätigung der These: ein Jahr sind in der Tat vier Web-Jahre – so kommt es mir zumindest vor.

Archiv&Bibliothek endlich integriert

Eine ganz wesentliche Erfahrung meines Kanadaaufenthaltes war festzustellen, wie sehr Archive und Bibliotheken hier bereits eine Einheit bilden. Ich mag das nicht aus archivwissenschaftlicher Sicht kommentieren. Ich stelle bisher nur die Fakten fest, dass die beiden Nationalbibliotheken zugleich die Nationalarchive sind: und zwar für den englischsprachigen und für den französischsprachigen Teil Kanadas.

Canada is the first country to fully integrate the services and programs of its national library and national archives. Library and Archives Canada is a new type of knowledge institution designed to collect, to preserve and to provide Canadians with access to our nation’s documentary heritage.

sagt der neue (seit 2004) Nationalbibliothekar und -archivar Kanadas Ian E. Wilson.

Das gleiche gilt seit kurzem auch für das frankokanadische Québec, wobei hier sogar noch verschärfend hinzu kommt, dass das Hauptgebäude der Bibliothèque et Archives nationales Québec zugleich eine  wichtige Rolle als Stadtbibliothek für Montréal spielt: genannt die „Grande Bibliothèque“ (in Anlehnung an die französische „Très Grande Bibliothèque“). Das eigentliche Netz der Stadtbibliotheken existiert weiterhin und hat sogar durch die große Konkurrenz ebenfalls Zulauf erfahren. Zu meinem wirklich großen Bedauern ließ die Führung keinerlei Photographie im Innenbereich zu – wie oft bei jungen architektonischen „Wunderwerken“. Die virtuelle Besichtigung lohnt sich – ergibt aber nur einen Teil des Eindrucks.

Bibliothèques et Archives nationales Québec: Grande Bibliothèque à Montréal

Nur zwei Zahlen:

  • 40% der Ausleihen werden von der Multimedia Etage getätigt (bei einer Nationabibliothek!)
  • die Bibliothek ist von 10 h (a.m.) bis 24 h (p.m.) geöffnet

Eine weitere Besichtigung zeitigte noch mehr Konvergenzen: sogar der Museumsbereich ist friedlich vereint mit den Archiven und Bibliotheken im Preservation Centre / Centre de préservation der Library and Archives Canada in Gatineau bei Ottawa:

museale Sammlung im preservation centre der LAC in Gatineau

im Foyer des preservation centre der LAC in Gatineau

Ein beeindruckendes Gebäude mit up-to-date Technologie zur Restaurierung nicht nur von Archivmaterialien, sondern auch von Büchern, Filmen, Handschriften, Gemälden und anderem kulturellen Erbe. Im Übrigen sind beide Gebäude recht jungen Datums (2006).

Die Konvergenz auch zum Museum hin ist eine Tendenz, die die großen amerikanischen „Bibliotheksschulen“ seit einiger Zeit – sehr zu Leidwesen der ALA – weiter treiben. Wir sind in Deutschland vergnügt, sagen zu können, dass wir die ÖB/WB Trennung überwunden haben. … Wer erwähnte da „Archivare“?

Ich habe ein lebendes Buch gelesen

Eingang zur Stadtbibliothek Marzahn-Hellersdorf am 20.4.2007

Freitag Nachmittag in Marzahn. Im Berlin Eastgate gastiert die Eishockey-Mannschaft Berlin Bears. Das Tor spuckt einen aus auf die Marzahner Promenade, eher eine Schlucht zwischen Hochhäusern. An deren Ende das Schwimmbad … und dahinter die Bibliothek. Am Ende des Ganges ein kleines Schild. Davor eine Wäscheleine.

Ich bin spät dran und beeile mich, mein Buch abzuholen. Eine halbe Stunde ist wenig Zeit, einen Menschen kennenzulernen. Deshalb ohne Umschweife erste Fragen in der Hoffnung, dass mein Buch mir Wichtiges erzählt. Großer Sport im Schattendasein? Nö. Messbarkeit der Leistung? Viele ‚Klassen‘. Ich vergesse mich vorzustellen – und doch kommt es auf den Dialog an. Es kommt anders. Plötzlich verdoppelt sich das Buch: der Vater ist mit dabei. Ihn auch lesen? Das Gespräch entspannt sich. Langsam entsteht die Welt des Behindertensports – nicht nur als Veranstaltung im Anschluss der großen Olympiade. Als integrierbar in den Alltag, wenn auch mit größeren Mühen. Verbandsfunktionäre im Hintergrund aber als Sport das Normalste der Welt. Von wegen existenzieller Ausgleich.

Der Autor im Gespräch mit einem Lebenden Buch, dem Paralympic Sportler Matthias Schröder

Hätte ich dies in so kurzer Zeit in einem normalen Buch erfahren? Hätte ich überhaupt ein solches Buch ausgeliehen? Ich hätte lediglich in Wikipedia nachgeschlagen. Vielleicht. Jetzt ist eine Beziehung zu einem Menschen aufgebaut. Ich werde bei den nächsten Paralympics genau hinschauen, wie Matthias Schröder läuft. Ich kann das Buch fast nicht wieder abgeben – wie bei „normalen“ Büchern ja auch. Warum ich dieses Buch ausgeliehen habe? Eben weil ich keinen konkreten Informationsbedarf hatte, sondern am Erfahrungsaustausch zwischen Behinderten interessiert war.

Anderes passiert an diesem Tag. Das ZDF ist da und will unbedingt reissereisch berichten: „Rassist leiht Farbigen aus und beschimpft ihn“. Gedreht wird auf dem Dach der Bibliothek mit Blick auf die Plattenbauten. Mal sehen wie der Filmbeitrag letztlich rüberkommt:

wahrscheinlich: Sonntag, 29.4. um 9 Uhr (morgens) in der Sendung „Sonntags“

Dies bringt in den Diskussionen am Rande gerade das Wertvolle der direkten Kommunikation wieder in den Vordergrund; warum eben nicht die Konfrontation und der Kontrast gesucht wurde. Die Bibliothek ist eher der Ort der Nuancen und hat auch nicht als primäres Zielpublikum jene, die sich in der Machart klassischer (ggf. privater) Medienanstalten wohlfühlen. Nicht ohne Grund sind öffentliche Bibliotheken immer noch öffentlich-rechtliche Medienanstalten.

Die Frage steht im Raum: sind die normalen Bibliotheksbenutzer so kommunikativ, dass sie sich lebende Bücher richtig ‚ausleihen‘ können. Muss man nicht sogar dazu Schulungen anbieten? Sind Bücherwürmer nicht nur die stillen Leser? Der Bedarf scheint aber groß zu sein. Viele der Anwesenden – auch der lebenden Bücher – sind schlichtweg begeistert und wünschen Fortsetzungen.

Eines wird ganz deutlich: Bibliotheken sind richtigerweise auf der Sinnsuche in diesem Zeiten des Wandels. Nicht nur, dass Experimente und neue Erfahrungen notwendig sind, es scheint schon klar zu werden, dass der Ort der Bibliothek als Raum für Kommunikation und Erfahrung zunehmend wichtig wird. Die Präsenz eines (analogen) Mediums allein ist wertvoll. Das heißt nicht, Bibliotheken als Kontrastprogramm zu einer digitalisierten und individualisierten Welt hoch zustilisieren. Man erkennt nur umso deutlicher die eigentlichen Funktionen dieser Orte im Raum-Zeit-Kontinuum, die wir immer schon Bibliothek nennen. Nicht das schwarze Loch Suchmaschine ist es, sondern die Aura des gesellschaftlichen Lebens. Nicht der Haufen gesammelter Medien und Informationen, sondern das, was damit und darin passiert, passieren könnte. Bibliothek als Medium eben.
Mehr Bilder bei Jin Tan