Tag Archives: Open Access

Wider die Transparenz-Gesellschaft?

Im heutigen Tagesspiegel führt Gregor Dotzauer u.a. Byung Chul Han vor, der unlängst in seiner Müdigkeitsgesellschaft, mahnte, dass die übertriebene Positivität („I am ok!“) ungesund ist und nun die Frage stellte, ob nicht die allenthalben geforderte Transparenz ähnlich unglückliche Folgen hat bzw. zu einem ähnlichen Modewort verkommen ist wie Nachhaltigkeit und ob die These von der allgegenwärtigen Offenheit (Open xy) nicht gerade ökonomistischen Zielen folge.

Eingangs die schöne Kategoriesierung der jüngeren Gesellschaftsbeschreibungen:

Was sollen wir nicht alles sein. Eine Klassengesellschaft (Karl Marx). Eine von gouvernementalen Steuerungsmechanismen überforderte Risikogesellschaft (Ulrich Beck). Eine im Gegenteil bestens regierbare Chancengesellschaft (Roland Koch/Helmut Kohl/Erwin Teufel). Eine von grenzenlosem Hedonismus dauerbesoffene Erlebnisgesellschaft (Gerhard Schulze). Eine am Abgrund lebende Krisengesellschaft (Dirk Baecker). Eine an ihrer hemmungslosen Positivität erstickende Müdigkeitsgesellschaft, die in der Verleugnung alles Negativen seelische Erschöpfungszustände hervorbringt (Byung-Chul Han). Und jetzt, mit einem neuen Begriff des an der Karlsruher Hochschule für Gestaltung lehrenden Philosophen auch noch eine ins Totalitäre zielende „Transparenzgesellschaft“.

Lesenswert.

Blog Tipp zu ’new roles of librarians‘

Einem Twitter-Hinweis von Doerte Böhner (Bibliothekarin) folgend, entdecke ich eine recht streitbare und gut vernetzte Bloggerin, Dorothea Salo, deren Texte die Lektüre lohnen, obwohl sie davor warnt: caveat lector. Sie ist nicht mehr „rat de bibliothèque“ wie die Franzosen sagen, sondern bezeichnet sich selbst als repository rat. Eine interessante neue Rolle für Bibliothekarinnen. In der aktuellen Ausgabe des Library Journal wird sie interviewt und spannt einen glänzenden Bogen von Stephen Harnad zu Herbert van de Sompel und anderen und beschreibt, was Tony Hey (Microsoft) und seine Frau auch schon in Library Hi Tech 2006 als Aufgabe für zukünftige Bibliothekare beschrieben haben: proaktives Sammeln… Im Library Journal wird sie als „post Harvard Librarian“ tituliert, weil sie Positionen vertritt, die sich nach dem Votum (2008) von Harvard für ein verpflichtendes Universitätsrepositorium ergeben haben, weil die Bibliothekate merkten, dass Selbstablieferung nicht funktioniert (alte Pflichtexemplarregel…).

In anderen Beiträgen in ihrem Blog berichtet sie zu Zoteros neuen Features und beschwichtigt die bibliothekarischen Gemüter.

Die Optik und der Tonfall ihres Blogs ist vielleicht nicht jedermanns/fraus Geschmack, aber einer amerikanischen Leseratte zuzuhören, die so belesen ist, macht einfach Spaß.

Publizieren mit Weblogs

Warum publizieren Sie in einem Fachblog

Abb. 15: Frage 1: Warum publizieren Sie in einem Fachblog und nicht in einem anderen Kommunikations- oder Publikationsmedium

Die Diplomarbeit von Heidi Stieger: Fachblogs von und für Bibliothekarinnen: Nutzen und Tendenzen. Mit Fokus auf den deutschsprachigen Raum (Chur März 2007) in endlich erschienen in den Churer Schriften. Viele Kollegen der „Bloggerszene“ haben ja mitgewirkt und mit Spannung auf die zitierfähige Ausgabe gewartet. Leider ist natürlich die Print- oder Quasiprintausgabe etwas im Zeitverzug. Die konkreten Überblicke und empirischen Darstellungen sind deswegen vielleicht nicht mehr ganz valide für das Frühjahr 2007 (die Diplomarbeit wurde im Spätsommer 2006 geschrieben). Dennoch ist es erfrischend, einmal einen systematischen Blick von außen geliefert zu bekommen. Hier gibt es eine Reihe von interessanten Literaturaufarbeitungen aus dem anglo-amerikanischen Raum, die wieder die Differenz spüren lassen.

Interessant die empirische Feststellung, dass die Bloggerinformation inzestuös ist, d.h. sich vornehmlich Quellen aus Blogs und online Medienseiten bedient und nicht aus der Printwelt zitiert. Mit dem vermuteten Ergebnis, dass damit keine neuen Inhalte produziert werden. Die Arbeit selbst belegt an einem Netbib-Beispiel, dass dennoch „neue Inhalte“ – allerdings in den Kommentaren – zustande kommen. Hier könnte aber noch analytischer nachgefragt werden.

In der Abbildung oben (Auswertung der Frage: „Warum publizieren Sie in einem Weblog“) wird deutlich, dass Blogs als eine „einfache Publikationsform“ verstanden und genutzt werden. Häufig noch in der Freizeit, woraus Heidi Stieger schließt, dass Web2.0 noch als Spielerei und Zeitverschwendung empfunden wird. Deutlich wird aber auch gemacht, dass Weblogs spezifische Publikationsmedien sind, die andere nicht ersetzen, sondern nur ergänzen können. Wesentliche Spezifika sind (ganz Web2.0) die größere Personalisierung: “ ‚Ich‘ ist vollkommen normal“

Das Wort „ich“ ist vollkommen normal und keine Ausnahme. Der Autor ist an keine politischen oder wirtschaftlichen Zwänge gebunden und kann sich als Individuum einbringen. Im Gegensatz zur Fachzeitschrift […] sind die Diskussionen im Fachblog […] kontrovers, authentisch und subjektiv. (59)

Für den Fach-Blog spezifisch ist jedoch:

Der Autor ist in der Regel im Hintergrund spürbar […]. Der Grad der Subjektivität ist jedoch verschieden stark. Bemerkenswert ist, dass die Mehrheit der Autoren unter ihrem echten Namen agiert. (43)

Damit ist auch im Fachblog eine Autorschaft gewahrt, aber die strenge Verpflichtung zu Objektivität und Seriosität eines Fachartikels gemindert. Das erleichtert mit Sicherheit die öffentliche fachliche Äusserung zusammen mit der Geschwindigkeit des Erscheinens der Publikation.

Das andere wichtige Charakteristikum des Blogs ist die hieran beobachtbare Wiederkehr des Hypertexts und die dazu notwendige Atomisierung der Publikationsthemen. Blogs sind nicht mehr „Inselmedien“ der Verlagsprodukte, in denen Hypertextelemente lediglich zur Navigation dienen, sondern Oszillationsmedien.

Bei Weblogs handelt es sich aber um Informations- und Medienseiten, die nicht als Inselmedien, sondern als „Oszillationsmedien“ auftreten […]. Die Inhalte stehen nicht mehr allein für sich da, sondern „entfalten sich um einen Link“, der auf eine andere Seite verweist. Das Netz wird somit als Netz genutzt. Der Link wird zu einem Bestandteil des Beitrages. Es entstehen Texte, die unbegrenzt sind und kein Ende mehr haben. Links sind ein Ausgangspunkt des Schreibens und ergänzen nicht mehr bloss die fertigen Artikel […]. Der Text alleine ist nicht brauchbar, erst das „Aussenrum“ verhilft dem Text zu Wert […]. Durch die Links stehen Nachrichten, Texte und Kommentare in enger Beziehung. Dadurch kann ein neuer Kontext entstehen. (51)

Eben: Weinbergers Theorie des Webs: „Small Things Loosely Joined“.

Lucian Weisel, FIZ Karlsruhe (Vorstandsmitglied der DGI, auf Urlaub in Leipzig), fragte auf dem BID Kongress im Zusammenhang mit der schönen Diplomarbeit von Julia Hinz zu Open Access im LIS Bereich in Deutschland nach der Reputation informationswissenschaftlichen Publizierens in Deutschland. Im Gegensatz zu anderen Ländern gibt es ja bei uns (in unseren Fächern) noch nicht einmal eine Verpflichtung für Hochschullehrer zur (wissenschaftlichen) Publikation. Der Anreiz ist ja auch gering: IWP und BFP sind nicht mehr bei ISI im Journal Citation Report und auf JASIS Niveau kommen wir sicher auch wegen der Sprache nicht. Da bleibt eben nur der Blog. 😉 Aber ob dieses Medium der deutschen LIS tatsächlich weiterhilft?

Einerseits. Andererseits ist es aber eben auch die zeitgemäße Form des Publizierens. Warum an der Metapher der gedruckten (und damit zitierfähigen) Seite festhalten, wenn man Blogeinträge mit Permalinks hat? Die Gefahr ist – und darauf weist implizit die Diplomarbeit hin – wenn ein Blog eine unspezifische Themenausrichtung erhält. Je höher die fachliche Spezialisierung, desto erfolgreicher die Blogs. Im klassischen Marketing : die USP. Es handelt sich also bei Blogs auch darum, das schulmeisterliche „Thema verfehlt“ zu vermeiden!? Wieder auf der Gradwanderung zwischen Personen- und Sachorientierung.

Nach dem schönen Vortrag von Edlef Stabenau auf dem BID Kongress nun eine weitere fundierte Analyse zu Fachblogs.

Deutsche Wissenschaftler können plötzlich Chinesisch!

In der InetBib berichtet heute Peter Ahrens von Ex Libris über eine Auswertung der Nutzung im Bereich der Angebote über die DFG Nationallizenzen – im vorliegenden Fall an der UB Düsseldorf. Herausragend ist hierbei die „überaschend“ hohe Nutzung der großen chinesischen Volltextdatenbank „China Academic Journals“.

Besonders erwähnenswert unter den NatLis [Nationallizenzen] scheint das „Abschneiden“ der Archive „China Academic Journals“ (CAJ), die nach Elsevier und ACS (etwa gleichauf mit SPRINGER und WILEY) an Platz drei der absoluten Zahl der OpenURL-Link-requests der ULB Düsseldorf lagen. Insgesamt entfiel etwa 1/6 aller NatLi OpenURL-requests auf die CAJ.

Ebenfalls erstaunt Peter Ahrens die große Nutzung innerhalb der Naturwissenschaften (97% der Nutzung). Die CAJ werden dabei im Übrigen als naturwissenschaftliche Quelle gewertet, obwohl sie beispielsweise auch die „Serie“ Informationswissenschaften:

Serie I: Informationswissenschaften
Radio-electronics, Telecommunication Technology, Computer Technology, Automation Technology, Journalism and Media, Publishing Cause, Library and Information Science, Museology, Archive Science

beinhalten, die aber wohl nicht überall im Angebot ist.

Zu bedenken ist aber vor allem, dass es sich vorwiegend um Texte in chinesischer Sprache (teilwiese mit englischem Titel bzw. Abstract) handelt. Nicht der große Anstieg der Nutzung ist m.E. also verwunderlich, sondern die Tatsache, dass deutsche Wissenschaftler plötzlich so sprachbegabt geworden sind.

Die in InetBib von Peter Ahrens aufgeworfenen Fragen, die auch Matthias Kaun von crossasia/Stabi nicht beantworten kann, sind deshalb nur teilweise zielführend.

  • Wie erklärt sich diese unerwartet hohe Nutzung und welche Schlüsse sind daraus zu ziehen ?
  • in wie weit handelt es sich hierbei nur um einmalige Neugier von Nutzern oder feste Titel- und Zugriffs-Muster (z.B. bei Verfügbarkeit englischer Keywords, Abstracts und ggf. Abbildungen) ?
  • Aus welchem Kontext (Datenbank-Sourcen) werden die Angebote am meisten genutzt?
  • Ist die Nutzung an anderen Hochschulen ähnlich hoch und verteilt?
  • Entspricht die Nutzungsverteilung der allgemeinen nach Fakultäten oder gibt es spezifische Abweichungen?
  • Welchen unmittelbaren und nachhaltigen Einfluß hat eine Ankündigung der Verfügbarkeit und Verlinkung?
  • Wie geeignet und praktikabel ist das hier genannte Verfahren für weitere verlags- und institutions-übergreifende Zugriffs-und Trendanalysen?

Müsste nicht vor einer Lizenzierung die Frage stehen, was die Wissenschaftler brauchen? Dass sie, wenn sie bei einer Suche auf „interessante“ Titel stoßen, diese auch mal anschauen wollen, ist m.E. verständlich. Die Verantwortung der Bibliothekare und Informationseinkäufer müsste aber doch die sein, dass sie nicht noch weiter zur Informationsflut ihrer Nutzer beitragen. Zumindest sollte vor Einstieg in die Suche deutlich gemacht werden, dass man mit dem was man bekommt nix anfangen kann. (Das Abstract hilft da aber wie wir wissen nur in den seltensten Fällen.)

Also nicht zunächst die Frage, „was bewirkt Open Access“, sondern, „welche Art der Information ist notwendig“. Bitte nicht mehr so viel just in case Bibliothek! Mehr in time oder on demand.

Petition zu Open Access an die EU Kommission

Die Unterstützer der Budapest Erklärung haben heute eine Mail folgenden Inhalts bekommen:

We are writing to you because you are a signatory to the Budapest Open Access Initiative. As you supported that initiative we are now asking you to support a further one that will encourage the European Commission to take action that will secure vastly increased access to publicly-funded science output.

In the wake of the publication of the report from the „EU Study on the Economic and Technical Evolution of the Scientific Publication Markets of Europe“ a consortium of organisations working in the scholarly communication arena is sponsoring a petition to the European Commission to demonstrate support for Open Access and for the recommendations in the report.

Im Folgenden wurde ja die Initiative auch unter dem Stichwort „Berlin declaration“ bekannt. Also sollten vielleicht doch recht viele Deutsche Unterstützer unter den Unterschriften sein. Bisher sieht das – nach einem ersten überfliegen – nicht so aus. Zentral ist weiterhin das Argument, dass öffentliche finanzierte Publikationen auch öffentlich zugänglich sein müssen.