Diversity

Entwicklung im Diversity Thema

Entwicklung im Diversity Thema

Als ich vor ca. 10 Jahren die Diplomarbeit von Wolfgang Kaiser betreute, war das Thema Diversity Management noch ziemlich in seinen Kinderschuhen. Einzelne andere Diplomarbeiten hatten teilweise aus Betroffenenperspektive schon untersucht, wie Migranten oder andere Minoritäten in Bibliotheken „behandelt“ wurden (nämlich nicht gut), aber eine konzeptuelle Managementlösung des Problems war bisher noch kaum angegangen worden. Lediglich unter dem Begriff der multikulturellen Bibliotheksarbeit war seit 2005 in Stuttgart von Katrin Sauermann über ein ähnliches Thema gearbeitet worden. 2016 erscheint nun der Sammelband von Kristin Futterlieb und Judith Probtsmeyer, der damit sogar beide Stränge verbindet: „Diversity Management und interkulturelle Arbeit in Bibliotheken“ (de Gruyter). Das Buch konstatiert mit einer gewissen Befriedigung, dass das Thema nun in deutschen Bibliotheken angekommen ist. Interessanterweise wird der Band eröffnet mit drei Potsdamer (bzw. ehemaligen) Beiträgen: einem Vorwort von mir (iv-xi, s.u.), einem Beitrag von Leyla Dewitz: „Diversitätsansätze und bibliothekarische Arbeit“ 15-24) sowie einem Text von Wolfgang Kaiser: „Perspektiven zum Erhalt der Zukunftsfähigkeit von Bibliotheken durch Diversity Mainstreaming“ (25-42). Die weitere Palette der Beiträge gibt einen guten breitgefächerten Überblick über die aktuellen Ansätze und Praktiken zu sozialer, demographischer, kultureller oder sexueller Diversität in Bibliotheken wie auch zum Thema Inklusion.

Für mich war der Sammelband Anlass für einen Beitrag aus theoretischer Perspektive: warum es eine zwingende Grundlegung für Bibliotheken ist, divers zu sein. Hier mein Beitrag in voller Länge, da ich denke, dass angesichts der aktuellen politischen Lage nicht oft genug auf die Rolle der Bibliotheken in der demokratischen Gesellschaft hinzuweisen ist:

Bibliothek und Diversität. Eine theoretische Annäherung:

Im Personalmanagement ist Diversität (diversity management) seit einiger Zeit eingeführt und in manchen Verwaltungen bereits allgemeine Vorgabe. Zumindest haben wir hoffentlich wegen des sog. demographischen Wandels und des drohenden Fachkräftemangels gelernt, dass intergenerationelle Diversität notwendig ist zur Kompetenzerhaltung der Organisation. Im Nutzerkontakt und allgemeinen Bestandsaufbau ist es ebenfalls Standard, dass interkulturelle Aspekte – und sei es nur durch Sprachkompetenz der Mitarbeiter – berücksichtigt werden. Kundenorientierung und strategisches Marketing gebieten ein passgenaues Eingehen auf die Bedürfnisse der Zielgruppe, und da Bibliotheken Kultur-, Bildungs-, und Informations- also sprachbasierte Dienstleistungen anbieten, sind also entsprechend der intendierten Zielgruppe auch „diverse“ Kompetenzen auf der Seite der Bibliothek erforderlich. Der überwiegend weibliche bibliothekarische Berufsstand kann sich hier ggf. an der Pädagogik orientieren, die ebenfalls nicht müde wird, männliche Erzieher für die Jungen zu fordern. 

In einer pluralistischen Gesellschaft geht der Ansatz jedoch noch weiter. Die Aktualität des Themas Diversität in und mit Bibliotheken verdeutlicht deren eminent wichtige Rolle als politische Institution zur Ermöglichung von Informationsgerechtigkeit (Dewitz 2015) im Sinne von Art. 3 und 5 des Grundgesetzes (Diskriminierungsverbot und Meinungsfreiheit). Das informationswissenschaftlich gut beschreibbare Phänomen der „Filter (oder Google) Blase“ (Pariser 2011) betrifft alle gesellschaftlichen Schichten. Aber insbesondere „informationsarme“ Bevölkerungsgruppen leben in sog. ‚kleinen Informationswelten‘ (small worlds) (Chatman 1999; Jaeger/Burnett 2010). Die Erfahrung zeigt, dass gerade die Zielgruppen, die es sich leisten können, Medien und Informationen zu kaufen, sie dennoch über Bibliotheken beziehen. Hieraus kann man die These ableiten, dass die zentrale Funktion von Bibliotheken nicht die der kostengünstigen Ausleihe von Medien als öffentlichem Gut ist (Umlauf 2012), sondern dass sie als Herz oder Motor einer zunehmend multikulturellen Gesellschaft zu fungieren. Und dies geht nur mit einem diversen, vielfältigen Angebot, welches wiederum heterogener Ressourcen bedarf. Die wichtigste Ressource in Bibliotheken ist bekanntlich ihr hochmotiviertes Personal.

Die in diesem Band versammelten Beiträge fassen einerseits die Thematik aus unterschiedlichen Perspektiven zusammen und berichten andererseits von erfolgreichen Projekten und Studien zu einer Neuausrichtung der Bibliotheken, wie sie sich nicht nur in Zeiten des Digitalen Wandels, sondern auch im Zusammenhang des interkulturellen Zusammenrückens einer immer globaler werdenden Welt als zunehmend dringlich erweist. Genauso wie die Gesellschaften selbst, sehen sich auch die Bibliotheken (weltweit) der grundsätzlichen Herausforderung einer Neudefinition, ja Neuerfindung gegenüber (Hobohm 2013). Auch wenn die Grenzen zwischen den Bibliothekssparten (ÖB, WB, SB) nicht mehr so bedeutsam sind wie noch vor Jahrzehnten, so ist es doch deutlich, dass wieder einmal die kommunalen Bibliotheken – zumindest einige von Ihnen – Vorreiter sind bei der Reaktion auf veränderte Umweltbedingungen (wie vor ca. 20 Jahren bei der Einführung des Managements im Bibliotheksbereich, vgl. Hobohm 1997). Insofern sind viele der Beispiele und Erfolgsgeschichten von Diversität in Bibliotheken (noch) in Stadtbibliotheken zu finden.

Vordenker des Urbanen wie Manuel Castells (1989) und Richard Sennett (1991) haben aus ihrem je eigenen Ansatz heraus schon früh darauf hingewiesen, dass in der modernen Stadt entscheidende Prozesse der gesellschaftlichen Restrukturierung zu beobachten sind. Castells zeigte in dem Vorläufer seines Monumentalwerks zur Informationsgesellschaft, dass die entstehenden Megacities als Knotenpunkte der Informationsflüsse und damit des weltweiten Finanzkapitalismus anzusehen sind („informationelle Städte“), während Sennett auf der Basis seiner Überlegungen zum Verschwinden des Öffentlichen die Stadt als Differenzierungsmotor zwischenmenschlicher Entfremdung ausmachte. Deshalb ist es nicht verwunderlich, wenn im städtischen Kontext Bibliotheken, die sich ja lange als Informationseinrichtungen und nun zunehmend als soziale und Bildungsinstitutionen sehen, auf genau solche Entwicklungen der Gesellschaft reagieren. Bibliotheken als das „Herz der  Gesellschaft“ zu sehen, ist nicht nur ein Slogan der IFLA, sondern lässt sich theoretisch wie empirisch belegen wie mit dem vorliegenden Band gezeigt wird.

Neben ihrer Rolle als Funktionsgedächtnis, d.h. als Archiv und Werkstatt für das kulturelle Erbe und Wissen der Zeit,  kommt ihr immer auch die eines kultisch-herrschaftlichen, hegemonialen Knotens im Netz der Machtstrukturen zu (zum Begriff der Hegemonie: Gramsci 1929). Das lässt sich nicht nur an der Zensurgeschichte der Bibliotheken oder an historischen Beispielen wie Alexandria oder den Volksbüchereien des 19. Jahrhunderts belegen, sondern spiegelt sich auch in offiziellen Papieren der Jetztzeit – quasi in den „Leitbildern“ der Moderne. Ein prominenter Beleg dafür ist z.B. das vom dänischen Bibliothekar Jens Thorhauge u.a. (1996) im Auftrag der EU verfasste Whitepaper zu „Bibliotheken in der Informationsgesellschaft“, in dem sie als „Hauptakteur bei der lokalen Implementation der Informationsgesellschaft“ und als „Partner für Demokratie und Informationsfreiheit“ (ebd. S.3) gekennzeichnet werden. Der Zeit entsprechend werden sie damals aber vor allem noch als „Informationstechnikzentrum“ verortet. 15 Jahre später kommt wieder aus Dänemark die genauere gesellschaftliche Verortung der Bibliothek in der Stadt: das „Four Spaces Model“ der Kopenhagener Informationswissenschaftler Hvenegaard u.a. (2011), Jochumsen u.a. (2012; 2014) und Skot-Hansen u.a. (2013), das die Öffentliche Bibliothek funktional beschreibt als Inspirationsraum, Lernraum, Treffpunkt und Performativer Raum. Sie folgen damit dem Spatial Turn in den Sozialwissenschaften und einer Renaissance des analogen im Zeitalter der ubiquitären Digitalisierung. Speziell in ihrer Rolle in der Stadtentwicklung beschreiben die Bibliothekswissenschaftler die Bibliothek (hier in einer Adaption von Knud Schulz (2012), dem Leiter der Stadtbibliothek Aarhus) gleichzeitig als

  • Place (icon, placemaker, catalyst)
  • Space (open minded meeting place, public domain, experience-space)
  • Relationship (partnership and creative alliances, hybrid cultural arenas, creative entrepreneurs) – „urban vitalization“.

Was noch 1996 lediglich als „a good social spot“ (Thorhauge u.a. 1996, S.3) bezeichnet wurde, kann nunmehr konkreter dargestellt werden als Katalysator und „Beziehungsarbeit“ („relationship“) in und mit der (urban) community. Nicht von ungefähr ist in einer auf den Wachstumsmotor Innovation aufbauenden Gesellschaft hier besonders Hybridität, Kreativität und Unternehmertum („entrepreneurship“) ins Zentrum des Interesses geraten. Interessanterweise wird in dem neuen Kopenhagener Ansatz praktisch gar nicht mehr von Informationstechnik (IT) und nur noch implizit von Demokratie, Informationsfreiheit oder Informationsgerechtigkeit gesprochen. Die Leitfigur der Gesellschaft ist in Zeiten nach dem Ende der großen ideologischen Erzählungen (Lyotard) nur noch der Homo Oeconomicus, nicht mehr der (soziale) Befreier. Umso mehr ist daran erkenntlich, dass der Bibliothek hegemoniale Funktionen zukommen – hierbei eben als Innovations-, Wachstums- und Entwicklungsmotor (vgl. auch Vallet 2013). Ganz aktuell in das Bild der wirtschaftlich technologischen Entwicklung passt denn auch, wenn einem in neuen Bibliothekserscheinungsformen nunmehr auch Roboter und 3D Drucker begegnen (vgl. Schulz 2012), ohne dass explizit im „Leitbild“ auf Technologie Bezug genommen wird.

Was hier so aussieht wie eine perfide Instrumentalisierung der Bibliothek zu Diensten des Kapitals, ist dennoch erneut eine deutliche Fokussierung einer ihrer Grundfunktionen (vgl. Hobohm 2013). Sie ist letztlich eher als Chance, denn als Risiko zu sehen: auf diese Weise kommen in einer komplexer werdenden Gesellschaft die zentralen Kompetenzen der Bibliotheken offensichtlicher zum Tragen. Im digitalen Umbruch wird die Krise zur Chance – auch im Sinne der Selbsterkenntnis: die Nähe der Bibliothek zum Hegemonialen ist letztlich überdeutlich. Zu verschiedenen Zeitpunkten der Geschichte muss „lediglich“ genauer betrachtet werden, wo die Macht „sitzt“, wie die „Hegemonialfunktion“ konkret aussieht. Auch die Gedächtnis- und die Werkstattfunktion von Bibliotheken sind (meist) unbestritten, so dass diese drei Grundfunktionen die Bibliothek in ihrer Funktionsweise und Aufgabe recht gut beschreiben. Allerdings liefern sie keinen Erklärungsansatz, warum Bibliotheken so funktionieren, sondern bleiben eben rein deskriptiv.

Ein analytischer Ankerpunkt könnte im Konzept der Diversität liegen und zwar auf einer tieferliegenden Ebene als in aktuellen Verwaltungsvorschriften sichtbar. Schon der Kreativitätsgedanke, der ja tatsächlich bei Bibliotheken nahe liegt, verweist auf die Notwendigkeit des Anderen, auf den Blick über den eigenen Horizont. Studien zur Genese von Innovation und Kreativität bestätigen immer wieder, dass der Kreative jemand ist, der nicht nur in der eigenen Community „zu Hause“ ist, sondern der Sphären verbinden kann (Burt 2004). Die Möglichkeit über den Tellerrand zu schauen und sich auch gerade persönlich (weiter-) zu entwickeln sind in Bibliotheken offensichtlich und stellen eine ihrer Gründungsszenen (bzw. -geschichten) dar, wie es z.B. recht anschaulich  im DBV Image Video „Der Erfolg einer Idee. Der Bibliotheksspot 2012“ veranschaulicht wird.

Die Vielfalt der Inhalte und Medien in einer Bibliothek ist immer schon Motor für Anregung und Erneuerung gewesen. Hier liegt vielleicht eine gewisse Paradoxie der Bibliothek in der Gesellschaft der Moderne vor: natürlich gibt es nicht nur die einen staatstragenden „uniformen“ Bibliotheken, sondern immer schon – und vor allem in der Moderne – auch die des Heterogenen, des Anderen und des Gegenentwurfs, ganz im Verständnis einer „offenen Gesellschaft“. Wie Bruno Latour deutlich macht, gibt es ja auch nicht nur die eine Moderne, sondern eher multiple Existenzmodi unserer Zeit (Latour 2014a). Die ökonomische (und informationstechnologische) Hegemonie des Kapitals, die uns zur „zweiten Natur“ geworden ist (Latour 2014b) ist zunächst nur „einfältig“, eindimensional und geradlinig teleologisch, während die ‚natürliche Natur‘ (Latour: „first nature“) so vielfältig ist wie die Biodiversität des Ökosystems. Frank Schirrmachers Kritik am Neoliberalismus der Spieltheorie geht ohne Latour zu bemühen in eine ähnliche Richtung, wenn er von zwei Menschentypen spricht: nämlich dem „natürlichen“ Menschen „Nummer 1“ und der „Nummer 2“ des Homo Oeconomicus, der nicht mehr den Gesetzen der Natur folgt, sondern nur noch dem Wirtschaftssystem erliegt (Schirrmacher 2013).

Indem die Bibliothek diesem Paradigma der hegemonialen Instanz der Globalökonomie folgt und Kreativität mittels Diversität fördert („die Andersheit als Chance sehen“), bestätigt sie zwar dieses in gewisser Weise, kann aber doch eine ihrer wichtigsten inhärenten Eigenschaften ins Feld führen und ausbauen. Als Heterotopie (anderer Ort) kann sie Akteur im Netzwerk werden, weil das, was in ihr geschieht, gerade auf der Differenz beruht und sei es nur als Medium der Intertextualität wie Foucault es so treffend beschrieben hat (vgl. Hobohm 2015). Damit wird sie selbst zu einer inhärenten Differenzqualität, sogar im Innersten der Macht, und hat die Chance der Hegemonialfunktion zu dienen und dennoch in einem alten Sinn positiv vielleicht sogar „subversiv“ zu wirken.

Nicht nur die Rolle der Bibliothek in der Gesellschaft oder das immanente Wirken ihrer Sammlungen sind auf Kreativität ausgerichtet. Auch das Personal zeichnet sich dadurch Kreativität und Differenzierung aus. In einem Forschungsprojekt an der FH Potsdam konnte mit Hilfe von qualitativen und quantitativen Praxiserhebungen beschrieben werden (Hobohm/Groeneveld/Imhof 2013), dass eine der herausragenden Kompetenzen von BibliothekarInnen der Faktor Kreativität ist neben einem besonderen Kompetenz-Cluster, der in dem Projektkontext als „Kognitionskompetenz“ bezeichnet wurde und im Grunde die (differenzierende) Fähigkeit zu Bewertung und Erschließung – also Bestandskonzeption und Metadatenmanagement – widerspiegelt. Im Ergebnis wurde in dem Projekt aus der Perspektive der Ausbildungseinrichtung das Konzept der Reflexion als zentrales Moment für die Informationsberufe eingeführt (Hobohm/Pfeffing u.a. 2015). Der Prozess der Entwicklung entsprechender Fähigkeiten erfordert – im Sinne neuerer Didaktikmodelle – den Prozess der Selbstreflexion bis hin zur Metakognition. In diesem Zusammenhang ist damit auch nicht nur die Bibliothek als Institution auf der gesellschaftlichen Ebene grundlegender Reflex (Abbild) der zentralen Prozesse, auch die Personen in der Bibliothek sind quasi ontogenetisch so aufgestellt wie grundlegende Prozesse der persönlichen Entwicklung von Menschen. Die Erkenntnis des Anderen im Unterschied zum Selbst ist immer eine ganz grundlegende Basis zur Identifikation und zur Identitätsbildung – ob nun in der Spiegelbildmetapher der Psychoanalyse Freuds oder Lacans, ob im ständigen Reflexionsprozess zwischen Subjekt und Objekt in der poly-kontexturalen Logik der neueren Kybernetik oder gar im Formkalkül Spencer-Browns.

So wie die Bibliothek als gesellschaftliche Institution zentrale Eigenschaften der Gesellschaft (Hegemonie und Multiplizität) aufweist, sind analog ihre Bestandteile über Identität und Vielfalt charakterisiert. Bestandsarbeit ist immer eine Arbeit am Kanon (und seiner Transgression) und damit gesellschaftlich identitätsbildend (vgl. Assmann/Assmann 1987), genauso wie die überfachlichen Kompetenzen des Personals den zentralen Kompetenzen der Persönlichkeitsbildung und der Kreativitätsentwicklung des Menschen an sich entspricht. Letztlich sind auch die Aktivitäten der Nutzer in der Bibliothek rekursiv dazu: in den meisten Nutzungsfällen dreht es sich um Bildungsprozesse, die die gleiche ständige Bewegung zwischen dem Selbst und dem Anderen durchlaufen, ob nun psychologisch phänomenologisch im Sinn Figuration der eigener Identitätserzählung („In Geschichten verstrickt“) oder als Arbeit an der Zone of Proximal Development des Spiralcurriculums von Lernen, Ausbildung und wissenschaftlicher Erkenntnis.

Eine solche anthropologische Urszene könnten nicht unbedingt viele andere Institutionen in dieser Vielschichtigkeit aufzeigen. Das Archiv ist identitätsbildend durch die Versicherung des Speichergedächtnisses (nicht des aktuellen Funktionsgedächtnisses, vgl. Assmann 2009). Museen, Zoos, wissenschaftliche Bibliotheken, die Massenmedien haben anders als die Stadtbibliothek einen Schwerpunkt auf dem (kommunikationswissenschaftlich gesprochen:) Inhaltsaspekt der Kommunikation: hier zählen die Fachkompetenzen, die fachliche Orientierung mehr. Der ‚Inhalt’ der Stadtbibliothek ist dagegen ihre Rolle im Beziehungsgeflecht des „Ökosystems“ Gesellschaft und damit die Beziehungsarbeit an und mit Diversität des Eigenen und des Anderen. Vielleicht erklärt sich deshalb, warum die überfachlichen Kompetenzen in ÖBs wie Sozial- und Selbstkompetenz aber eben auch Management an sich, so viel wichtiger sind.

Literatur:

Assmann, Jan; Assmann, Aleida (Hgs.) (1987): Kanon und Zensur. München: Fink (Beiträge zur Archäologie der literarischen Kommunikation; II).

Assmann, Aleida (2009): Archive im Wandel der Mediengeschichte. In: Knut Ebeling und Stephan Günzel (Hg.): Archivologie. Theorien des Archivs in Philosophie, Medien und Künsten. Berlin: Kadmos, S. 165–175.

Burt, Ronald S. (2004): Structural Holes and Good Ideas. In: American Journal of Sociology 110 (2), S. 349–399.

Castells, Manuel (1989): The informational city. information technology, economic restructuring, and the urban-regional process. Oxford UK Cambridge Ma. USA: B. Blackwell.

Chatman, Elfreda A. (1999): A theory of life in the round. In: Journal of the American Society for Information Science 50 (3), S. 207–217.

Dewitz, Leyla (2015): Diversität als Basis für Informationsgerechtigkeit. Berlin: Simon Verlag für Bibliothekswissen.

Gramsci, Antonio: „Hegemony“ (1929). In: Imre Szeman und Tomithy Kaposy (Hg.) (2011): Cultural theory : an anthology. Oxford [u.a.]: Wiley-Blackwell, S. 188–203.

Hobohm, Hans-Christoph (1997): Auf dem Weg zur lernenden Organisation. Neue Managementkonzepte für die Digitale Bibliothek. In: Bibliothek. Forschung und Praxis 21, S. 293–300.

Hobohm, Hans-Christoph (2013): Bibliothek im Wandel. Kap. D12. In: Rainer Kuhlen, Wolfgang Semar und Dietmar Strauch (Hg.): Grundlagen der praktischen Information und Dokumentation. 6. Aufl. Berlin: De Gruyter Saur, S. 622–632.

Hobohm, Hans-Christoph (2015): Vom Ort zum Akteur. Heterotopologie + Akteur-Network-Theorie auf die Bibliothek bezogen. In: LIBREAS – library ideas 10 (28). Online verfügbar unter http://libreas.eu/ausgabe28/06hobohm/.

Hobohm, Hans-Christoph; Groeneveld, Imke; Imhof, Andres (2013): Schlüsselkompetenzen in Informationsberufen. Erste Ergebnisse aus dem Projekt AKIB der Fachhochschule Potsdam. In: BuB. Forum Bibliothek und Information 65, S. 521–524.

Hobohm, Hans-Christoph; Pfeffing, Judith; Imhof, Andres; Groeneveld, Imke (2015): Reflexion als Metakompetenz. Ein Konzeptbegriff zur Veranschaulichung akademischer Kompetenzen beim Übergang von beruflicher zu hochschulischer Qualifikation in den Informationsberufen. In: Walburga Freitag, Regina Buhr, Eva-Maria Danzeglocke, Stefanie Schröder und Daniel Völk (Hg.): Übergänge gestalten. Durchlässigkeit zwischen beruflicher und hochschulischer Bildung erhöhen. Münster: Waxmann, S. 173–191.

Hvenegaard, Casper; Jochumsen, Henrik; Skot-Hansen, Dorte (2011): Biblioteket i byudviklingen. Oplevelse, kreativitet og innovation. Kopenhagen: Danmarks Biblioteksforening; Det Informationsvidenskabelige Akademi.

Jochumsen, Henrik; Hvenegaard Rasmussen, Casper (2012): The four spaces. A new model for the public library. In: New Library World 112 (11/12), S. 586–597.

Jochumsen, Henrik; Skot-Hansen, Dorte; Hvenegaard Rasmussen, Casper (2014): Erlebnis, Empowerment, Beteiligung und Innovation: Die neue Öffentliche Bibliothek. In: Olaf Eigenbrodt und Richard Stang (Hg.): Formierungen von Wissensräumen. Optionen des Zugangs zu Information und Bildung. Berlin: De Gruyter Saur (Age of access? – Grundfragen der Informationsgesellschaft, 3), S. 67–80.

Jaeger, Paul T.; Burnett, Gary (2010): Information worlds. Social context technology and information behavior in the age of the Internet. New York: Routledge.

Latour, Bruno (2014a): Existenzweisen. Eine Anthropologie der Modernen. Berlin: Suhrkamp

Latour, Bruno (2014b): On some of the affects of capitalism. Lecture given at the Royal Academy. Copenhagen, 26.02.2014. (online via: http://bruno-latour.fr/node/552) <11.1.2016>

Pariser, Eli (2011): The filter bubble. What the Internet is hiding from you. New York: Penguin Press.

Schirrmacher, Frank (2013): Ego. Das Spiel des Lebens. München: Blessing.

Schulz, Knud (2012): The Library as Unitiyng Factor in a Society of Change. Vortrag auf der Tagung Stadt der Ströme, Potsdam 13. Juli 2012 (Video online: https://fabdav.fh-potsdam.de/video/ec/Super/2012.SoSe/Stadt-der-Stroeme/Stadt/Knud_Schulz_ge.mp4 <11.1.2016>

Sennett, Richard (1991): Civitas. Großstadt und die Kultur des Unterschieds. Frankfurt/M.: S. Fischer.

Skot-Hansen, Dorte; Hvenegaard Rasmussen, Casper; Jochumsen, Henrik (2013): The role of public libraries in culture-led urban regeneration. In: New Library World 114 (1), S. 7–19.

Thorhauge, Jens et al (1996): Public Libraries and the Information Society. Study on behalf of the European Commission, DG-XIII/E/4, Prolib/PLIS 10340. Brüssel: EU.

Umlauf, Konrad (2012): Theorie der Bibliothek. In: Konrad Umlauf und Stefan Gradmann (Hg.): Handbuch Bibliothek. Geschichte, Aufgaben, Perspektiven. Stuttgart: Metzler, S. 25–32.

Vallet, Nathalie (2013): Becoming partners in urban development. A case-study research on the strategic roles of Flemish and Dutch public libraries in the future development of cities. In: Library Management 34 (8/9), S. 650-663.

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Zitiervorschlag: Hobohm, Hans-Christoph: Bibliotheken und Diversität. Eine theoretische Annäherung. Vorwort für:  Futterlieb, Kirstin / Probstmeyer, Judith (Hgs.): Diversity Management und interkulturelle Arbeit in Bibliotheken. Berlin de Gruyter, 2016, S. iv-xi