Eine Stadt streitet über die Ästhetik und Symbolkraft einer Bibliothek

Fassadenentwurf für die SLB Potsdam (Architekt R.Becker)

Fassadenentwurf für die SLB Potsdam (Architekt R.Becker)

Eigentlich ist es fast eine Alltäglichkeit. Und das ist ja auch gut so. So war es in Münster und Ulm, in Den Haag und Amsterdam. Der immer mal wieder notwendige Neubau der zentralen Stadtbibliothek spaltet die Gemüter. In letzter Zeit sind die Debatten oft überschattet von der Rede vom Ende der Gutenberg-Galaxis. Dennoch sind gerade die Neubauten von neuen, zentralen Bibliotheken in der Stadt oft recht spektakulär wie Seattle, Montreal oder eben auch Stuttgart21 anschaulich zeigen.  In Potsdam gibt es allerdings bemerkenswerte Kuriositäten. Hier dreht es sich um die komplette Rekonstruktion der historischen Stadtmitte aus vor-DDR-Zeit. Es ist also im Grunde weder eine wirkliche Diskussion um Ästhetik noch um die Frage der Symbolkraft der Bibliothek für den städtischen Raum. Kaum jemand scheint die Bibliothek als solche in Frage zu stellen. Man spricht vor allem über die alten Stadtgrundrisse in der „mental map“ der Potsdamer und die Frage, dass eines der ersten Gebäude in der rekonstruierten Struktur der Altstadt neben dem Schloss Vorbildcharakter hat für zukünfige Investoren, die den Rest der neu zu errichtenden Barockgebäude bauen sollen.

Für die eine Fraktion ist die historische Anmutung und das äussere Stadtbild als Ganzes das Wichtige, für eine zweite die mögliche und ggf. notwendige Reminiszenz gerade an die DDR-Stadtstruktur und für die Dritte (die Stadtverwaltung und die Bibliotheksbenutzer) ist es die Bibliothek als zentraler städtischer Ort und ihre prinzipielle Realisierbarkeit.

Vielleicht aus Angst, über die wirkliche Funktion und den Inhalt der Bibliothek als „Palais des Wissens“ sprechen zu müssen, wird nur die (äussere) Form thematisiert. Die Architektenseite sprach gestern sogar davon, dass „die Bibliothek das ganze System sprengt“ und dass man doch einfach „die Luft aus der Bibliothek rauslassen“ solle. Das zeugt m.E. sehr davon, dass man sich keine Gedanken über ‚die Bibliothek‘ macht, bzw. das sie als nachfeudale Institution doch immer noch Sprengkraft besitzt: wird doch hier ein vorwiegend feudaler Stadtgrundriss rekonstruiert. Bezeichnend ist auch, dass man in diesem Zusammenhang kaum eine Stimme vom Land hört, entsteht doch auch die Landesbibliothek. Das Gebäude hätte also nicht nur die übliche hohe Symbolkraft für die bürgerliche Civitas der Stadt, sondern in diesem Fall sogar zusätzlich für ein ganzes Bundesland mit herausragender Geschichte (Dieses Symbol des Landes ist derzeit einer Unibibliothek zugewiesen: dem IKMZ Cottbus). Die Symbolkraft wird ausschließlich der Stadtstruktur bzw. der Kubatur und dem Standort des Gebäudes zugeschrieben. Darüber nachzudenken, dass für beide Seiten hier von (je verschiedener) hochaufgeladener symbolischer Zukunftswirksamkeit (Tourismus, Wirtschaftskraft, Stadtidentifikation) gesprochen wird, man dabei aber dem eigentlichen Inhalt des Symbols ‚Bibliothek‘ (Wissen, Bildung, Innovation, Medien, Begegnung am anthropologischen Ort) nicht gerecht wird, dazu fehlt die Zeit, das Geld (?) und vor allem der Mut.

Der Aspekt Ästhetik ist noch bezeichender: mehr oder weniger offen wirft die eine Seite der anderen vor, einen unzureichenden Ästhetikbegriff zu haben. Die DDR habe ja auch daran gearbeitet, ihren Bürgern den Sinn für Ästhetik zu nehmen. Deshalb kann die andere Fraktion, die ästhetische Qualität des Fassadenentwurfs und des genazen Gebäudes ja auch gar nicht richtig einschätzen. Hier bleibt aber die Ästhetik dann schließlich auch verkürzt auf Form und Struktur und hinterfragt nicht den Gehalt des ästhetischen Empfindens. Ich denke gerade eine Diskussion um die Funktion der Ästhetik bei dieser Art Gebäude und an diesem Standort könnte zu anderen Ergebnissen als zu den beiden vorgeschlagenen führen. Die bibliothekswissenschaftliche Diskussion der letzten Jahre hat m.E. deutlich gezeigt, dass das Phänomen der Ästhetisierung unserer aktuellen Lebenswelt und die Frage des ästhetischen Raumempfindens gerade bei öffentlichen Bibliotheken besonders bedeutsam ist. Eine Bibliothek ist eben mitnichten ein Ort für Bücher („Biblio“ heißt nicht „Buch“!).

Insofern ist in der Tat der vorgelegte Fassadenentwurf in vielerlei Hinsicht ungünstig,

wegen

  • der unzulässigen und zu flachen Buchmetapher
  • der deutlichen ästhetischen Bezugnahme auf die Architektur der 70er Jahre (in Ost und West)
  • des mangelnden künstlerischen, ästhetischen Mutes (es sei denn die ersten beiden Aspekte sind als mutig gemeint?)
  • der Vernachlässigung der Symbolkraft von Ort und Funktion und damit
  • der mangelnden Zivilcourage (oder stadtökonomischem Weitblick) im Verfahren und in der Diskussion
  • die Überbetonung der Form in der gesamten Debatte und insgesamt damit wegen
  • der grundsätzlichen Verkennung dessen, was eine Bibliothek für das städtische und staatliche Gemeinwesen bewirkt in wirtschaftlicher wie in institutionenpsychologischer Hinsicht.

siehe auch:

Bücherregal aus Glas PNN 12.2.2010
Potsdam TV aus dem Kulturauschuss, 12.2.2010
Cinemaxx-Architektur in Stadtrandlage PNN 13.2.2010
Architekturstudenten stellen eigenen Entwurf vor MAZ 12.2.2010
Ein leuchtendes Bücherregal MAZ 12.2.2010
Wie ein Cineplex am Stadtrand MAZ 13.2.2010

Blogbeitrag hier: Braucht eine Landeshauptstadt eine Bibliothek? 3.12.2009

4 thoughts on “Eine Stadt streitet über die Ästhetik und Symbolkraft einer Bibliothek

  1. K.P.

    Viele Aspekte einer riesigen Diskussion.

    1. Es ist unerträglich, dass ein Prof. der FH Potsdam seine Studenten nutzt um seine politische und architektonische Meinung in der Stadt durchsetzen zu wollen, wohl wissend wie es um Finanzierungsmöglichkeiten für solche Projekte steht. (Prof. Brands, falls es jemand nicht erkannt hat)

    2. Menschen verbinden mit Bibliotheken doch zumeist Bücher, ob nun der fachwissenschaftliche Diskurs zum selben Ergebnis kommt spielt bei der Frage keine Rolle. Die Bibliothek ist ja nicht für die Bilbiothekare da, genau so wenig wie eine FH ja nur für die Prof. da ist.

    3. Die ganze Diskussion in Potsdam dokumentiert, dass es hier ja mitnichten um das Gemeinwohl geht, auch nicht um eine Bibliothek, in keiner Phase der Diskussion. Es geht einzig um die Wiederherstellung eines Potsdams das so nicht mehr existiert und dies möchte eine kleine feine sogenannte bürgerliche Elite, die offensichtlich eben jene Bibliothek auch gar nicht braucht.

    4. Ob das Gebäude das Buch zu sehr betont oder nicht ist doch letztlich eine persönliche Einschätzung. Mir persönlich ist die Buchmetapher nicht zu flach, ebenso stört der Bezug zur Architektur der 70er Jahre nicht, zumindest mich nicht. Das sogenannte IKMZ, wobei eigentlich heißt es ja immernoch Bibliothek, in Cottbus hat ja eine gewisse Ausstrahlung, die gefallen muss, mich persönlich erinnert sie eher an eine Packung mit 4 Rollen Bounty Haushaltstüchern.

    5. Wo jetzt die mangelnde Zivilcourage ist sehe ich nicht. Es ist schwierig in der Stadt eine Gegenposition zu beziehen, zumal sie in der Presse auch schlicht nicht wahrgenommen wird.

    6. Niemand spricht über Ökologie in Potsdam – die FH hat ja jetzt ihr Innovationskolleg, dass ja quasi jeder baulichen Entwicklung hier hinterher rennt.

    7. Abschließend: in Potsdam gilt nur die Form – nicht mehr und nicht weniger. Die Bürger sind es leid, was man an der mangelnden Beteiligung aller Potsdamer in der Debatte bemerkt.

    Ich mag diese Fassade. Sie ist ein grandioser Contrapunkt zu den folgenden Bauten und sie ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Lichtblick für den Platz der Einheit. Die Bibliothek wird sichtbar sein wie esnur wenige sind, daran gibt es nichts zu rütteln.

  2. Hans-Christoph Hobohm Post author

    Lieber K.P.,

    vielen Dank für Ihren Kommentar.
    Aber dennoch schön langsam: dass Sie sich mit dieser Fassade begnügen, ist doch nur ein Beleg der Interpretation der einen Seite. Wenn Sie sie in dieser Form einen Lichtblick nennen, dann haben Sie noch keine wirklich guten Bibliotheken gesehen. Und sichtbar wird sie schon gar nicht sein, zumindest im Vergleich mit dem eigenen Vorbild Linz oder Ulm oder Seattle oder Nizza. Sie ist äußerst bescheiden und unsichtbar – ohne großen Eingang, fast versteckt hinter Bäumen im Kontrapunkt zum Platz der Einheit mit den direkten Bezügen Post (riesig) und Haus des Reisens (postmodern)!

    Das Ergebnis Ihrer Einschätzung, dass die Buchmetapher genügt für einen Wissensspeicher, ist ja durch aktuelles Bibliothekssterben und die Einschätzung der Politik deutlich genug. Ich wäre auch vorsichtig, der Bibliothekswissenschaft einen fachwissenschaftlichen Kommentar abzusprechen. Die Architektur und die Stadtplanung benutzt in *erster Linie* fachwissenschaftliche Argumente. Jeder meint aber, weil er einige Bücher hat, auch zu wissen, was eine moderne Bibliothek ist. Niemand würde behaupten, ein Haus entwerfen zu können, obwohl er drin wohnt. Das sollten Sie in Ihrem Studium doch mitbekommen haben.

    Zum Thema Mut: es dreht sich nicht um Ihr persönliches, sehr hoch einzuschätzendes Engagement (auch hier noch mal vielen Dank dafür!). Ich meinte – vielleicht nicht deutlich genug – die Zivilcourage aller Beteiligten, allen voran der Stadtverantwortlichen. Ich benutze das Wort Zivilcourage, weil ich deutlich machen will, dass es um mehr als Risikobereitschaft geht, die uns Deutschen ja auch fehlt.

    Und schließlich: Vorsicht mit dem Hinweis auf den ökologischen Aspekt: der ist ja gerade bei dem Entwurf besonders in den Hintergrund geraten (Licht, großer Luftraum, Glas…)

    Und von mangelnder Beteiligung kann man, finde ich, auch nicht sprechen: der Konferenzsaal vom HBPG gestern war bis auf den letzten Platz besetzt – einzelne mussten stehen. Und die Kommentare auf den Presseseiten und im Voting (PNN) sind zahlreicher als sonst bei solchen Themen.

    Bleiben Sie der Zukunft der Bibliothek gewogen: machen Sie z.B. mit bei der Zukunftswerkstatt der Bibliotheken. (http://www.bibliotheksportal.de/hauptmenue/bibliotheken/projekte/zukunftswerkstatt/)

  3. K.P.

    1. Der Vergleich mit anderen Bibliotheken:
    Der Vergleich mit anderen Orten ist ja durchaus zulässig, auch das Bemängeln des fehlenden Mutes in Deutschland. Nur ist genau diese Diskussion total abgehoben. Glauben Sie wirklich sie können die Bibliothek aus Seattle mit der Potsdamer Situation vergleichen? Es gibt, wenn man sich mit der Rekonstruktionsbewegung in Deutschland beschäftigt, außerhalb von Potsdam kaum eine Vergleichbare Lobby für den historisch wiederherzustellenden Stadtgrundriss, ohne Betrachtung gesellschaftlicher Bedürfnisse. Das kann man nicht einfach aus der Diskussion streichen. Erinnern Sie sich, dass es nicht mal eine Diskussion über die Sanierung gäbe, wenn die Linke nicht dem Stadtschloss zugestimmt hätte.
    2. Die Sichtbarkeit:
    Die Bibliothek ist aktuelle das markanteste aller Gebäude am Platz der Einheit und es verschwindet auch nicht einfach hinter Bäumen. Das müsste ja dann auch für die Wilhelmgalerie gelten. Die Bibliothek wird sehr stark wahrgenommen von den Potsdamern, sonst gäbe es doch nicht diese Diskussion. Das Haus des Reisens wird in Zukunft eingeordnet sein in die Nachbargebäude also mitnichten mehr Präsenz zeigen als noch vor einem Jahr. Das gilt im Übrigen ja auch für das Gebäude der Post. Ich denke vielmehr, dass die Farbe der Bibliothek diesem Platz gut tut und eben jene Aufmerksamkeit erregen wird, weil jeder an ihr quasi vorbei fährt beim Weg in die Stadt und aus der Stadt heraus. Im Übrigen ist es doch unstrittig, dass das Stadtschloss an jenem Platz steht, an den die Bibliothek gehört hätte…
    3. Das Bibliothekssterben:
    Ist vor allem auch ein Ergebnis der Tatsache, dass Bibliothekare zu leise sind – siehe Seminare der FH Potsdam, da hilft ein mehr in der technischen Ausbildung auch nicht, wenn die Lautstärke fehlt. Ein Beweis den man ja auch mit der Bibliotheksleitung in Potsdam führen könnte. Im Übrigen spreche ich der Bibliothekswissenschaft nicht die fachwissenschaftlichen Argumente ab, nur manchmal wirken eben jene Argumente völlig deplaziert in einer Diskussion, in der es an ganz anderer Stelle hakt.
    4. Ökologie:
    Die zählt doch in Potsdam schlicht nicht. Die Zahl der Beweise die man, selbst auf Seiten der Fachleute an der FH Potsdam, führen könnte ist unermesslich hoch. Man denke nur an denkmalschutztechnisch festgelegte Dachlandschaften. Versuchen Sie da mal ein paar Sonnenkollektoren anzubringen. Das gleiche Problem hat doch das Stadtschloss. Da wird nicht diskutiert wie es ökologisch sinnvoll wäre, sondern ob man ein historisch besseres Dach aus Kupfer bräuchte etc.
    5. mangelnde Beteiligung:
    Die ewig gleichen Gäste dieser Veranstaltungen kann man nicht ernsthaft als große Beteiligung interpretieren. Wenn Sie öfter bei diesen Veranstaltungen waren, wird Ihnen aufgefallen sein, dass der Altersschnitt zumeist Ü50 ist. Diese Veranstaltungen repräsentieren mitnichten die Potsdamer. Dazu könnte man noch vieles sagen, ich denke sogar, dass wir in Potsdam ein Paradebeispiel der Schweigespirale haben, aber das ist ein anderes Thema.
    So weit meine „Antwort“
    Viele Grüße aus den Norden

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