Braucht eine Landeshauptstadt eine Stadt- und Landesbibliothek?

Entwurf des Innenraums

Entwurf des Innenraums des zunächst geplanten Umbaus

In Potsdam gibt es eine interessante Debatte der Nachwendezeit, die sich leider an der Stadtbibliothek entzündet. Auf einer öffentlichen Bürgerversammlung (einberufen von der „Potsdamer Bibliotheksgesellschaft“) wurde in dieser Woche recht deutlich, dass es, wie die Potsdamer Neueste Nachrichten heute schreiben, eine große „Bibliothekslobby“ gibt. Leider werden die Argumente der Bibliothekslobby entweder nicht gehört oder nicht verstanden. Die Debatte entzündet sich an dem Argument der historischen Bedeutung des Ortes und vor allem der außergewöhnlichen städtebaulichen Ästhetik, die dieser Innenstadtbereich im 18. und 19. Jahrhundert (aber auch zu DDR-Zeiten) gehabt hatte. Die Fronten werfen sich gegenseitig vor, in unterschiedlicher historischer Distanz Revisionisten zu sein und sparen nicht mit Polemik und sogar Drohungen.

Wer gibt nur der ja meist schweigenden „Bibliothekslobby“ Gehör? Bis auf Ausnahmen wie Heidenreich oder Reich-Ranicki sind Leser oder (bibliotheksbenutzende!) Bildungsbürger nicht diejenigen, die die laute Auseinandersetzung suchen. Spricht man die Verfechter der historisierenden Fraktionen darauf an, so gibt es wenig Argumente gegen eine Bibliothek. Nur vereinzelt sind die Stimmen, die immer noch denken, das „B“ im Wort habe etwas mit Büchern zu tun. Auch die Symbolkraft einer Stadt- und Landesbibliothek als identifikationsstiftendem Bauwerk in einer Stadt wird keineswegs negiert. Dennoch fehlt dann allen Beteiligten offensichtlich der Mut, in beiderlei Sinn für den ‚Ort in der Stadt‘ und die ‚Bibliothek als Ort‘ eine gemeinsame Lösung finden zu wollen. Ob die Finanzierungsfrage („Hauptstadtmittel stehen nur bis Ende 2011 zur Verfügung“) wirklich eine Erpressung der Verwaltung oder gar parteipolitischer Schachzug ist, mag ich nicht entscheiden. Das städtebauliche und haushaltstechnische Beispiel Stuttgarts (das die neue Kulturbürgermeisterin sehr gut kennt) sollte jedoch zu denken geben: hier ist aus eminenter Finanznot von den großen Plänen zu „Stuttgart21“ (Ort der Stadt) nur noch mit Mühe und Not die Bibliothek als Ort übrig geblieben. Und das in einer Stadt Deutschlands von der man annahm, es sei eine der reichsten.

Das Gebäude der ehem. WAB der DDR als Fremdkörper im 18. Jhd.

Das Gebäude der ehem. WAB der DDR als Fremdkörper im 18. Jhd.

Es dreht sich darum, dass es irgendwie nicht gelingen will, in dem historischen Grundriss eine zentrale Funktion des städtischen Lebens zu integrieren (z.B sichtbar wie in Münster oder Ulm). Die in der Grafik eingezeichneten Gebäude existieren alle noch nicht und haben auch noch keine Nutzungsbestimmung bis auf die rosa Ecken. Dennoch sollen auch die rot eingezeichneten gebaut werden. Aber auch in dem bisherigen Entwurf des Architekten ließe sich sicher andere Formen der Raumnutzung und Gestaltung finden, die der Funktion und dem Gehalt einer Bibliothek gerecht würden und gleichzeitig den Ort in der Stadt respektieren. Dafür gibt es ja genügend Beispiele in der jüngeren deutschen und europäischen Baugeschichte.

Ich kann die Situation nur so interpretieren, dass die meisten öffentlichen Diskutanten persönlich keine Stadtbibliothek brauchen. Und das stimmt ja auch. Sie sind meist nicht die eigentliche Zielgruppe, und ob ihre Kinder die Bibliothek brauchen, scheint meist auch keine Rolle zu spielen. Richtig ist auch, dass die aktuellen (Noch-)Nutzer der Stadtbibliothek in gewisser Weise zur „alten Welt“ gehören, denn über die nun schon fast zwanzig jährige Nachwende-Debatte um die Stadt- und Landesbibliothek hat diese – vor allem wegen des lange Zeit enorm reduzierten Bestandsaufbaus und der zunehmend schlechten Aufenthaltsqualität im Gebäude – viele ihrer eigentlich gewünschten Nutzer verloren. Ihre „Bibliothekslobby“ – ihre Stammnutzer –  scheinen ewig gestrige Buchleser zu sein. Damit erscheinen Nutzer und aktuelles Gebäude in ähnlichem Licht und vielen recht fremd. Wir wissen, dass es in Deutschland das Fremde, das Andere immer sehr schwer hat und schnell in die ‚interessantesten‘ Schubladen gesteckt wird. Zum Glück wird von manchen doch noch oder wieder erkannt, dass Bibliotheken Bildungseinrichtungen sind – mit dem Problem allerdings, dass Bildung mit Buch gleichgesetzt wird.

Im gleichen Haus findet in diesen Tagen im anderen, abzureißenden Flügel die play09 statt, die kreativen Umgang mit den Neuen Medien unter dem Stichwort „creative gaming“ demonstriert und erproben lässt. Dort sind die jungen und aktiven potenziellen Bibliotheksnutzer, die die Bibliothek verloren hat, und die die Lobby sein könnten. Solche Zielgruppen, Medien und Aktivitäten (die aber paradoxerweise noch fremder erscheinen) gehören in das Herz der modernen Stadt, in ihren normalerweise niederschwelligsten und höchst symbolträchtigen öffentlichen Aufenthaltsort, den die Bibliothek darstellen sollte. Schauen Sie mal im ‚Schaufenster‘ der FH Potsdam vorbei für ein mögliches Beispiel für moderne bibliothekarische Arbeit.

weitere Informationen zur gesamten Debatte in der schönen Zusammenstellung hier.

weitere Beiträge: Spielball, Wissensspeicher
in der  tag-Wolke: „Stadt- und Landesbibliothek Potsdam

7 thoughts on “Braucht eine Landeshauptstadt eine Stadt- und Landesbibliothek?

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  2. Hans-Christoph Hobohm Post author

    In der FAZ print-Ausgabe vom 15.01.10 gibt es ebenfalls einen schönen Text zu unserer Provinzgeschichte:
    Matthias Grünzig schreibt dort am Ende eines recht gut recherchierten Artikels:

    „Manche Potsdamer Bibliotheksfreunde vermuten hinter diesem Aufschub Kalkül: Ein verkommener Bau lässt sich leichter abreißen als ein halbwegs intakter. So könnte Potsdam doch noch seine innerstädtische Bibliothek verlieren – für eine pseudohistorische Kulissenschieberei.“

  3. Bibbubbl

    Wirklich traurig, der aktuelle Stand der Dinge.
    Fast sehe ich hier sich entwickelnde Parallelen zur Waldschlößchenbrücke in Dresden, die ebenfalls die Lager spaltete.
    Ich wohne nicht (mehr) in Potsdam, spreche mich aber unbedingt für die Neuplanung der SLB aus.
    Um ehrlich zu sein, war ich nach der Neuanmeldung als Nutzer der SLB vor gut einem Jahr sehr enttäuscht, u.a. aufgrund der Atmosphäre des jetzigen Baues, der Schließfachsituation (und das Billigen der Mitnahme von Taschen) oder dem fehlenden Bezug zur Bibliothek eines nicht kleinen Teiles der Potsdamer Bevölkerung.
    Doch der Kontakt zu Bibliotheken sollte schon von den (kleinsten) Kindesbeinen an beginnen, so kenne ich es aus meiner Heimatstadt.
    Die Frage, warum Kinder und Jugendliche (im Vergleich zu den Nutzern anderer vorbildlicher Städte) das Hauptgebäude der SLB weniger aufsuchen ist eine wie ich denke eher rhetorische Frage.
    Ich hoffe sehr, dass der „alte Mief“ bald zur Vergangenheit gehören wird, sich die oberen Damen und Herren einig werden mögen und keine Gelder für die Neukonzeption der Bibliothek verloren gehen.

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