Payback: perfekte Vermarktung in der alten Welt

Informationsflut oder Logorhroe

Schön, dass sich jemand dieses Themas (Informationsentropie) annimmt. Frank Schirrmacher zeigt uns gleichzeitig, wie Informations- und Kommunikationsmedien (vor allem die klassischen) funktionieren. Und produziert selber Informationsfluten, denn er beherrscht die Klaviatur perfekt. Und darf in allen (wirklich allen: sogar in „Bild“ wird er abgedruckt) sein Buch bewerben. Man muss dabei eben wissen, dass er Chef des Feuilletons der FAZ ist: er als Person ist eine Institution in unserer Rest-Gelehrtenrepublik. Und er schreibt gerne solche Bücher, die sich gut verkaufen. Trotzdem sind mir andere medienwissenschaftliche Reißer wie Neil Postman oder Richard Sennett um einiges lieber.

Dazu gibt es heute eine fast erfrischende Rezension im Berliner Tagesspiegel:

„Payback“ ist das Buch eines Journalisten, der im Angesicht seiner eigenen Überforderung durch den information overload von Internet und Handy in konsequenter Ich-Perspektive dem Leser erklären will, „warum wir im Informationszeitalter gezwungen sind zu tun, was wir nicht tun wollen, und wie wir die Kontrolle über unser Denken zurückgewinnen“. Das Ganze ist im vollen Bewusstsein, dass jedes maschinenstürmerische Ansinnen nur lächerlich wäre, halb kulturkritisches Pamphlet, halb Ratgeber: in der Fülle des ausgebreiteten Materials immer anregend, mit leichter, gedanklich allerdings oft fahriger Hand geschrieben und in der Verengung des Horizonts auf die unmittelbare Gegenwart legitim.

Frank Schirrmacher beschreibt den historischen Wendepunkt, den er in den sich verselbstständigenden Informationstechnologien sieht, mit einer Dringlichkeit, die das bisher nur vage Empfundene begrifflich klar zu konturieren versucht – auch wenn die Klagen über Zerstreuung und Überreizung älter sind als das Netz. Mit Recht fürchtet er ein Lesen, das ins maschinelle Gelesenwerden umschlägt, ein Denken, das uns denkt: den Übergang von Selbstbestimmung zu Fremdbestimmung.

Ob der Rezensent (Gregor Dotzauer) mit seiner Kritik das Buch wirklich treffend beschreibt, werde ich nicht beurteilen können, denn ich werde es nicht lesen, werde ich ggf. bei Living Social in einer Kurzrezension berichten. Ich habe mich doch überreden lassen, es zu kaufen und muss gestehen, dass die Lektüre faszinierend ist. (Nachtrag Jan. 2010)

Vielmehr bringt es mich erneut auf die These von Wayne Wiegand, der von den beiden blinden Flecken der Bibliothekswissenschaft sprach: dem Raum und dem Lesen. Dem Raum haben wir uns mittlerweile schon etwas gewidmet, aber wie Lesen in und mit Informationsinfrastrukturen funktioniert, ist weder erforscht noch benennbares Thema: vielmehr kann man einfach vom „maschinellen Gelesenwerden“ sprechen. Die Rede von der Informationsflut ist so alt wie die Information selbst – wenn man so sagen darf. Jedes Zeitalter hat seine Medien und seine spezifischen Informationsfluten, und jedes Mal gibt es Personen des alten Paradigmas, die den Verlust der Informationskultur ja der Welt überhaupt beklagen. Die Klage über die Informationsflut: ein Generationenproblem?

(Immer noch lesbar: Wiegand, Wayne A. (1999): Tunnel Vision and Blind Spots. What the Past Tells Us about the Present; Reflections on the Twentieth-Century History of American Librarianship. In: Library Quarterly, Jg. 69, S. 1–32.)

Nachtrag 1.2.2010: Sehr schöner Kommentar im Blog „Indiscretion Ehrensache“ von Thomas Klüver.

2 thoughts on “Payback: perfekte Vermarktung in der alten Welt

  1. K.P.

    Die Klage von Frank Schirrmacher ist nicht vor allem die der Informationsflut, sondern die der Frage ob das Erlangen von Information tatsächlich noch eine selbstbestimmte Handlung ist. Diese Frage ist absolut zentral bei der Betrachtung demokratischer Räume – deshalb greift die Rezension viel zu kurz. Viel mehr gewinnt man mit fortschreitender Menge der Renzensionen den Eindruck man kritisiere das Buch eben weil es Frank Schirrmacher ist – und was fällt diesem Zeitungsmenschen und Literaturwissenschaftler ein sich Gedanken über die Freiheit des Geistes zu machen – quasi eine Frechheit…

  2. Pingback: Zweidimensionale Bildschirme lassen das Gehirn verkümmern | LIS in Potsdam

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